Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
„Michael!“
Er schlug den Mantelkragen hoch und blickte sich aufmerksam um.
Vorsicht war geboten. Das Moor war tückisch, Untote ebenfalls, sofern es sie denn gab. Genau genommen glaubte er nicht an ihre Existenz, aber er war Geisterjäger und solche Wesen seine Daseinsberechtigung. Die Leute, die an sie glaubten, stellten eine ergiebige und bequeme Einnahmequelle dar. Also konnte man sich zumindest Mühe geben und ihre Existenz in Erwägung ziehen. Damit ließ sich leichter vorspielen, von ihren Erscheinungen überzeugt zu sein.
Dass der Geist von Lady Valerie, der letzten Countess of Muirhurst, mehrfach schon gesehen worden war, wie sie übers Moor wandelte und nach ihrem Liebsten rief, stand außer Frage. Er hatte nun den Auftrag, mehr über die Lady und ihr Geheimnis zu erfahren. Am besten direkt von ihr selbst. Dafür zahlte sein Auftraggeber eine Menge Geld. Von ihr den Ort ihres nassen Grabes zu erfahren, ihre Gebeine zu bergen und ihrer Seele zur Ruhe zu verhelfen, indem man sie neben ihrem einstigen Bräutigam bestattete, war das Ziel des exzentrischen Charles Morning, Duke of Chester. Er hatte ein Faible für solche Dinge. Vermutlich mit ein Grund dafür, dass er Muirhurst Cottage vor gut zwei Jahren erwarb, inklusive eigenem Haus- und Moorgeist. Seine Gattin hielt es für Spinnerei und war entsprechend wenig erfreut über die Anwesenheit eines Geisterjägers. Ihr waren schon die Séancen zuwider, die regelmäßig im Salon abgehalten wurden.
Auch Scott Biskuitt glaubte diesem zwielichtigen Medium nicht wirklich, dass sie Kontakt zu Michael MacGregor aufgenommen hatte, der nach seiner geliebten Valerie suchte und ruhelos durch die Gänge von Muirhurst glitt. Sie war vermutlich ebenso medial begabt wie er selbst – oder ebenso wenig. Aber wenn man ein gutes Schauspiel lieferte, klingelte die Kasse. Das war alles, was ihn interessierte. Madame Loulou hatte diesen Michael, die geheimnisvolle Valerie gehörte ihm. So bekam jeder seinen Anteil. Und die paar Tausend Pfund, die Lady Morning weniger erben würde, wenn der Duke of Chester das Zeitliche segnete, machten sie nicht wirklich arm. Auch wenn die gefüllten Bankkonten vermutlich das Einzige waren, was die Dame an dem alten Kerl wirklich liebte. Ob sie sich auf dem Schlachtfeld tatsächlich in den verwundeten General verliebt hatte, oder ob von Anfang an schlicht sein Titel und sein dickes Portemonnaie ihre Leidenschaft entfachten, war eine Frage, für deren Beantwortung er keine übersinnlichen Fähigkeiten brauchte. Doch der alte Narr liebte seine jugendliche Gattin. Immerhin bereitete sie ihm ein angenehmes Leben, umsorgte und pflegte ihn, ertrug seine kleinen Besessenheiten.
Das alles war ihm reichlich egal. Solange die Bezahlung stimmte, und er seinen guten Ruf ausbauen konnte, ertrug er auch die kalte Schulter einer Dame.
Die von Lady Valerie hätte er sogar liebend gern gespürt, auch wenn er nicht an Geister glaubte. Aber es wäre eine Sensation, wenn er wirklich einen Geist vorweisen würde. Einen echten. Und immerhin, unheimlich war das Moor schon. Mitten in der Nacht, im Nebel, unter dem bleichen Licht des Mondes.
Die Geschichte über die Lady erzählte im Groben, dass sie die Gabe der Unsterblichkeit besessen haben sollte, die ihr von einem verschmähten Liebhaber geraubt wurde, der außerdem sie und den Nebenbuhler aus dem Weg räumte.
Er erklärte sich die Legende so, dass ein Kerl aus Eifersucht seine Angebetete und deren Zukünftigen schlicht umgebracht hatte. Aber Eifersuchtsdramen standen im Vergleich zu Gruselgeschichten natürlich längst nicht so hoch im Kurs.
Man munkelte, Lady Valerie brenne auf den Tag, an dem sie sich ihre Unsterblichkeit zurückholen und den Mörder in die Hölle befördern konnte. Solange würde ihr Geist jedes Jahr in der Zeit um ihren Todestag auf der Suche nach ihm das Moor durchstreifen.
Das bedeutete, er hatte eine knappe Woche, um Beweise für den Spuk zu liefern und mit dem Geist Kontakt aufzunehmen. Das Angebot von Madame Loulou, ihm zur Seite zu stehen, hatte er abgelehnt. Ihre Warnung, dass er in großer Gefahr schwebe und sie den Schatten des Todes über seinem Haupt schweben sah, schlug er in den Wind. Die wollte doch nur einen zusätzlichen Anteil am Honorar für sich beanspruchen. Das kam überhaupt nicht in Frage.
Wenn es diese Geisterfrau gab, würde er sie schon zu bezirzen wissen, bis sie ihm ihr Geheimnis verriet.
„Wohl dann, Mylady. Zeigt Euch mir, und ich werde sehen, was
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