Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
Frankreich. Holmes saß mir mit sardonischem Lächeln gegenüber.
Er hatte eine alte Brille in meiner Kommode gefunden, und durch die rußgeschwärzten Gläser blickte mich Ghede, der loa der Toten, an. Er schien sich auf das bevorstehende Abenteuer zu freuen. Seine Nasenflügel waren weiß und seine bleichen Hände trommelten ge-nüsslich den Knauf des Regenschirms, den er seinem Freund abgenommen hatte. Dieser saß schmollend neben ihm, und wir vermie-den es beide, ihn anzusehen. Er hatte in seinem Zustand der Besessenheit versucht, sich zurechtzumachen. Das Resultat wirkte – wie bei einem Mann, der es gewohnt war, sein Erscheinungsbild Barbie-ren und Schneidern anzuvertrauen, nicht anders zu erwarten – wenig vorteilhaft, woran auch der üppig aufgetragene Lippenstift nichts änderte. Wer hätte gedacht, dass sich die Liebesgöttin Erzulie ihm so verbunden fühlte?
Nach einer holprigen Fahrt hielten wir vor Lafayettes Villa in Pétionville. Wir entlohnten den Kutscher und schritten zum Eingang.
Ghede mit seinem Schirm so stolz wie eine gerupfte Krähe, die durch Abfall stakst, und dicht daneben eine tropfende Erzulie mit einem so sinnlichen Hüftschwung, wie ihn selbst junge Mädchen selten hin-bekommen. Ich dagegen humpelte auf meiner Krücke durch den Regen wie ein alter Mann.
„Siehst du denn, wohin du gehst, Liebster?“, sorgte sich Erzulie, aber Ghede tippte sich nur grinsend an seine schwarzen Brillengläser. Selbstbewusst klopfte er an.
Die Tür öffnete sich. Lafayette schien nicht überrascht, uns zu sehen; ebenso wenig überraschte es mich, dass er völlig in schwarz gekleidet war und einen Zylinder trug. Sein Gesicht war weiß wie Knochen, seine Augen blutunterlaufen. Er war Samedi, der Baron der Friedhöfe – Ghedes dunkler Bruder.
„Willkommen“, krächzte er und bat uns herein.
Als wir die Eingangshalle betraten, sah ich die geisterhafte Frau aus den Schatten gleiten. Auch sie wurde von einem loa geritten, obgleich ich mich bis heute frage, von welchem. Der goldene Schimmer ihrer Augen spottete jedem meiner Versuche, in ihr Inneres zu schauen, und wenn Legba wusste, durch welche Pforte sie in unsere Welt getreten war, dann teilte er es mir nicht mit. Mir sträubten sich die Haare bei ihrem Anblick, doch trotz meines Hasses auf die Giftmi-scherin und den Grabschänder musste ich die Gebote der Gastfreundschaft achten.
Wir waren Familie.
„Ihr wisst, weshalb wir hier sind, Baron“, sagte ich, während Ghede seinen nassen Schirm ausschüttelte, und Erzulie entrüstet beiseite sprang.
„Natürlich“, entgegnete Samedi. „Begeben wir uns doch in den Salon.“ Wir folgten ihm nach nebenan. Es entging mir nicht, dass Ghedes Blick zum hinteren Ende des reich möblierten Zimmers wanderte, wo mehrere rote Kerzen um eine Nische standen, die von einem schwarzen Vorhang verdeckt war. Dies musste der Schrein sein, in dem der Schädel verwahrt war.
Samedi bedeutete uns, Platz zu nehmen, und hieß seine Gefährtin, uns Erfrischungen zu bringen. Einen Moment spielte sie mit ihm, als habe sie seine Aufforderung nicht gehört, dann nahm er ihr Kinn und küsste sie auf den Mund. Ich sah, wie sich ihre spitzen Fingernägel wohlig in seine Schulter gruben. Draußen vor den hohen Fenstern fuhr ein krachender Blitz herab. Dann hauchte sie ihm etwas ins Ohr und glitt davon, nicht ohne uns einen langen Blick zuzuwerfen.
Erzulie sah ihr abschätzig nach. „Was für eine schreckliche Person.“
„Ich finde ihre Gesellschaft höchst anregend“, sagte Samedi. „Hat sie Erzulies Eifersucht geweckt?“
„Was erlaubt Ihr Euch!“, schalt sie und griff nach Ghedes Hand, der verdutzt zusammenzuckte. Dank der schwarzen Augengläser war nicht ablesbar, ob er amüsiert oder verärgert war. „Wollen wir zum Kern unseres Besuchs kommen“, flüsterte er. „Ihr habt da etwas, das Euch nicht gehört. Wir hätten es gerne zurück.“
„Der Dieb verlangt vom Dieb sein Eigentum?“
„Der Schädel ist niemandes Eigentum“, widersprach ich. „Niemand von uns hat ein Anrecht darauf.“
„Hört, hört!“ Samedi lachte. „Gestatte die Frage, Papa , aber wie willst du mich davon überzeugen? Ich habe ihn unter erheblichen Mühen an mich gebracht. Mein Engel und ich haben Großes damit vor.“ Die Frau mit den goldenen Augen kehrte mit einem Tablett mit Kristallkelchen zurück, in denen Chilischoten in einer klaren Flüssigkeit schwammen. „Der Schädel ist für mich unersetzlich.“
„Wir werden
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