Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel

Titel: Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
Vom Netzwerk:
Monographie)
    Dürfte ich Sie bitten, mir Ihre werte Meinung über das Beiliegende mitzuteilen?
    Öffnen Sie es aber auf keinen Fall, ich weiß nämlich nicht, was dann passiert.
    Nach dem Unglück mit Mr Netherby würde mich überhaupt nichts mehr wundern, und ich will nicht Schuld sein, wenn Ihnen ein Unglück zustößt.
    Ewan Kurdle, Pfarrer und Naturgelehrter, Covington Village.
    Holmes nahm mir das Kästchen aus der Hand. „So, mein lieber Freund“, sagte er, „nun wollen wir versuchen, etwas Klarheit in die wirren Gedankengänge des hochwürdigen Herrn Kurdle zu bringen.“
    „Wollen Sie das Zeug analysieren?“
    „Nein. Erst möchte ich wissen, welches Unglück Herrn Netherby zugestoßen ist.“

    Zwei Stunden später hatten wir mit Hilfe des Kursbuches, einer Generalstabskarte von London und Umgebung sowie den Provinzzeitungen in Erfahrung gebracht, was geschehen war. Kurz darauf saßen wir im Zug nach Covington Village, einem unbedeutenden Nest, das sich an der Seeküste von East Sussex in der Nähe von Brighton befand. Während der Fahrt fasste Holmes in seiner knappen, präzisen Art die vorliegenden Fakten zusammen.
    Basil Netherby war das Pseudonym eines französischen Schriftstellers, der nach einigen unbedeutenden romantischen Novellen und Kurzgeschichten einen erstaunlichen Durchbruch erlebt hatte, wobei er freilich nur in den Kreisen der Dekadenz begeisterte Leser fand. Die Allgemeinheit fand keinen Geschmack an seinen plötzlich so abstrusen, dunkelphantastischen und offenbar auch reichlich obszönen Geschichten. So eigenartig wie seine Werke war auch sein Leben. Er hatte die letzten beiden Jahre als Einsiedler, nur bedient von einem alten Ehepaar, in einer aufgegebenen Mühle abseits von Covington Village gewohnt. Ihn sah man eigentlich nur, wenn er auf dem Fahrrad in den Ort fuhr, um ein weiteres Manuskriptbündel zur Post zu bringen. Offenbar war er kein einnehmender Zeitgenosse gewesen, denn die Angst der Dorfbewohner, ihm zu nahe zu kommen, überwog ihre natürliche Neugier. Vor einem Vierteljahr dann hatten plötzlich seine Hausangestellten Covington verlassen, „bestürzt und verstört“, wie der Fahrdienstleiter aussagte, der sie in den Zug steigen sah. Netherby war noch einige Male einkaufen gekommen und hatte sich dann nicht mehr blicken lassen.
    Man hätte der Sache nicht weiter nachgeforscht, wäre nicht vor einer Woche ein fremder Herr erschienen, Netherbys Londoner Agent, wie sich herausstellte, der nachsehen wollte, warum sein ertragreichster Autor seit Wochen weder telefonisch – das Haus hatte eine Fernsprechverbindung – noch brieflich zu erreichen war. Die verschlossene Haustür wurde mit Hilfe des Ortspolizisten geöffnet, und man fand Basil Netherby in einem äußerst merkwürdigen Zustand vor. Einem Zustand, bei dem zwar feststand, dass er tot war, aber nichts darauf hinwies, auf welche Weise er zu Tode gekommen war.
    „Was meinen Sie damit?“, fragte ich neugierig, aber Holmes faltete die Zeitung zusammen und schüttelte den Kopf.
    „Wir wollen uns das Haus lieber mit eigenen Augen ansehen. Ich möchte nicht, dass Sie sich durch die Phantastereien eines Kleinstadtjournalisten verwirren lassen. Reverend Kurdle wird alles arrangieren. Ich habe ihm vom Bahnhof aus telegrafiert.“ 

    Tatsächlich erwartete uns, als wir in einem erfreulich grünen Hügelland mit Blick auf die glitzernde Flut des Ärmelkanals aus dem Zug stiegen, ein geistlicher Herr, der längst nicht so konfus war, wie sein Brief hatte erwarten lassen. In seinem gewohnten Umfeld war er überaus tüchtig. Im Handumdrehen wurden wir im einzigen Gasthof, der bezeichnenderweise „The Smugglers Inn“ hieß, untergebracht, aufs Beste verköstigt und dann in Begleitung des Ortspolizisten in dessen Fuhrwerk – er war nebenbei Schmied und Fuhrmann – zum Covington Mill House gefahren.
    Unterwegs erfuhren wir dann aus erster Hand, in welchem seltsamen Zustand man den toten Dichter gefunden hatte. Sein Körper, den man nur noch anhand der Kleidungsstücke indentifizieren konnte, war zu einer fetten, formlosen Masse zerronnen, die auf eine höchst eigentümliche und widerwärtige Weise bei jeder Berührung durch den Gerichtsarzt und später die Leichenträger zuckte und zappelte. Der Arzt, der mit diesem Zustand offenbar nichts anzufangen wusste, bezeichnete ihn schließlich kurzerhand als „Verflüssigung der Leiche durch fortgeschrittene Fäulnis“.
    „Aber das war es nicht!“, beharrte der Polizist.

Weitere Kostenlose Bücher