Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Granitblock; auf diesen setzte er sich und vergrub zusammenschauernd das Gesicht in seine Hände.
»Wir müssen Sie jetzt hier allein lassen«, sagte Holmes. »Es bleibt uns noch anderes zu tun, und jeder Augenblick ist von Wichtigkeit. Das Verbrechen ist völlig aufgeklärt – jetzt brauchen wir nur noch den Verbrecher!«
»Es ist tausend gegen eins zu wetten, dass wir ihn nicht in seinem Haus finden«, fuhr Holmes fort, als wir schnell den Fußweg entlang auf Merripit House zueilten. »Die Schüsse müssen ihm gesagt haben, dass er die Partie verloren hat.«
»Wir waren ein ziemliches Stück vom Haus entfernt, und der Nebel hat vielleicht den Schall gedämpft«, bemerkte Lestrade.
»Er folgte dem Hund auf dem Fuß, um ihn sofort abzurufen – darauf können Sie sich verlassen! Nein, nein – er ist jetzt längst fort. Aber wir wollen zur Sicherheit das Haus durchsuchen.«
Die Haustür stand offen; wir stürmten daher hinein und eilten von Zimmer zu Zimmer, zum größten Erstaunen des vor Angst an allen Gliedern bebenden alten Dieners, der uns im Flur entgegenkam. Nur im Speisezimmer brannte Licht, aber Holmes nahm die Lampe vom Tisch und ließ keinen Winkel des Hauses undurchsucht. Nirgends war von dem Mann, den wir verfolgten, auch nur das geringste Zeichen zu sehen. Im obersten Stock jedoch war die Tür zu einem der Zimmer verschlossen.
»Es ist jemand drinnen!«, rief Lestrade. »Ich höre etwas sich bewegen. Machen Sie die Tür auf!«
Wir hörten drinnen ein schwaches Stöhnen und ein Rauschen wie von Kleidern. Holmes sprengte die Tür mit einem Fußtritt, und mit dem Revolver in der Hand stürzten wir alle drei ins Zimmer.
Aber wir fanden keine Spur von dem verzweifelten Schurken, den wir zu sehen erwarteten. Statt dessen aber hatten wir einen so seltsamen und unerwarteten Anblick, dass wir zuerst sprachlos und wie an den Fleck gebannt dastanden.
Das Zimmer war zu einer Art von kleinem Museum hergerichtet; an den Wänden hingen eine Anzahl Glaskästen, deren Anfüllung mit Schmetterlingen und Käfern der gefährlichste Verbrecher der Gegenwart zu seiner Erholung betrieben hatte. Mitten im Raum stand ein Holzpfeiler, der den alten wurmzerfressenen Deckbalken stützen musste. An diesen Pfeiler war eine menschliche Gestalt festgebunden, aber ob es ein Mann oder ein Weib war, konnten wir für den Augenblick nicht sagen, denn diese Gestalt war vollständig von Bett- und Handtüchern vermummt. Ein Handtuch war um die Kehle geschlungen und hinter dem Pfosten zusammengeknotet; ein zweites bedeckte den unteren Teil des Gesichtes und über diesem starrten zwei dunkle Augen uns entgegen – Augen voll Schmerz und Scham und Angst. In einem Augenblick hatten wir den Knebel hinweggerissen, die Bande gelöst – und Beryl Stapleton sank vor uns ohnmächtig auf den Fußboden nieder. Ihr schönes Haupt neigte sich auf ihre Brust, und da sah ich auf ihrem Hals klar und scharf die rote Strieme vom Hieb einer Reitpeitsche.
»Der rohe Schuft!«, rief Holmes. »Hier, Lestrade, geben Sie schnell Ihre Whiskyflasche! Helfen Sie mir, sie auf einen Stuhl setzen. Die erlittenen Misshandlungen und die Erschöpfung haben sie ohnmächtig gemacht.«
Nach einer kurzen Weile schlug sie die Augen wieder auf und fragte:
»Ist er gerettet? Hat er sich in Sicherheit bringen können?«
»Er kann uns nicht entkommen.«
»Nein, nein – ich meinte nicht meinen Mann! Aber Sir Henry – ist er in Sicherheit?«
»Ja.«
»Und der Hund?«
»Der ist tot.«
»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«, rief sie nach einem tiefen Seufzer der Erleichterung. »Oh, dieser Schurke! Sehen Sie, wie er mich behandelt hat!«
Sie streifte ihre Ärmel zurück, und wir sahen voll Entsetzen, dass beide Arme mit blutigen Striemen bedeckt waren.
»Aber das ist nichts – gar nichts!«, fuhr sie fort. »Wie hat er erst meine Seele gequält und gefoltert! Und das alles habe ich ertragen können – Misshandlungen, Einsamkeit, ein Leben voller Enttäuschung, alles! –, solange ich mich noch an die Hoffnung anklammern durfte, dass seine Liebe mir gehörte. Aber jetzt weiß ich, dass er auch hierin mich hintergangen hat, dass ich nur sein Werkzeug war!«
Bei diesen Worten brach sie in ein leidenschaftliches Schluchzen aus.
»Sie sind ihm nicht freundlich gesinnt, gnädige Frau!«, sagte Holmes. »Nun, so sagen Sie uns, wo wir ihn finden werden. Wenn Sie ihm je bei seinem bösen Werk beigestanden haben, helfen Sie dafür jetzt uns, und machen Sie damit alles
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