Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Anfangsbuchstaben unterzeichnet, wurde der Lady ohne Zweifel unter der Tür in aller Stille in die Hände gespielt, um sie vom Haus wegzulocken.«
»Vortrefflich, Lestrade«, versetzte Holmes lachend. »Sie sind in der Tat höchst scharfsinnig. Lassen Sie mich mal sehen.« Damit griff er gleichgültig nach dem Zettel, allein plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit rege, und ein Ausruf freudiger Überraschung entfuhr ihm. »Das ist wirklich von Bedeutung«, bemerkte er.
»Ha, sind Sie jetzt auch der Meinung?«
»Versteht sich. Ich gratuliere Ihnen aufrichtig.«
Lestrade erhob sich in seiner Siegesfreude und beugte sich gleichfalls über den Zettel. »Aber«, rief er, »Sie schauen ja auf die verkehrte Seite!«
»Durchaus nicht, das ist die richtige Seite.«
»Die richtige Seite? Sie sind nicht bei Trost. Hier steht ja die Notiz mit Bleistift geschrieben.«
»Und dort steht etwas, das einem Stück von einer Hotelrechnung ähnlich sieht und mich höchst interessiert: ›4. Okt. Zimmer 8 Schill., Frühst. 2 Schill. 6 Pence, Gabelfrühstück 2 Schill. 6 Pence, ein Glas Sherry 6 Pence ...‹«
»Dahinter steckt nichts. Das habe ich längst gesehen«, erwiderte Lestrade.
»Es hat allerdings ganz den Anschein. Und trotzdem ist es von höchster Bedeutung. Was die Bleistiftnotiz betrifft, so ist diese, oder wenigstens die Anfangsbuchstaben, gleichfalls von Wichtigkeit. Ich gratuliere daher nochmals.«
»Wir haben jetzt genug Zeit vertrödelt«, versetzte Lestrade, indem er sich erhob. »Ich halte mehr davon, eine Aufgabe tüchtig anzupacken als beim Kaminfeuer geistreiche Hypothesen darüber auszuklügeln. Adieu, Mr Holmes, wir werden ja sehen, wer der Sache zuerst auf den Grund kommt!« Er packte die Kleidungsstücke wieder in die Tasche und schritt der Tür zu.
»Einen Wink will ich Ihnen doch noch geben, Lestrade«, rief Holmes gleichmütig seinem abgehenden Kollegen nach, »ich will Ihnen die richtige Lösung des Rätsels verraten. Lady St. Simon gehört ins Fabelreich. Eine solche gibt es nicht und hat es nie gegeben.«
Lestrade warf einen betrübten Blick auf meinen Freund. Dann wandte er sich zu mir, deutete auf seine Stirn und verschwand eiligst unter feierlichem Kopfschütteln.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, erhob sich Holmes und zog seinen Überzieher an. »Es ist etwas Wahres an dem, was der Mensch sagt! Es taugt nichts, hier müßig zu sitzen«, äußerte er, »deshalb muss ich Sie wohl jetzt mit Ihren Zeitungen allein lassen, Watson.«
Es war fünf Uhr vorüber, als Holmes mich verließ; doch hatte ich nicht lange Zeit, mich einsam zu fühlen; es dauerte keine Stunde, so brachten zwei Leute aus einem Delikatessengeschäft eine große flache Kiste herein, der sie zu meinem größten Erstaunen im Handumdrehen ein ganz üppiges kaltes Souper entnahmen, das bald auf unserem bescheidenen Junggesellentisch prangte. Da standen Rebhühner, ein Fasan, eine Gänseleberpastete nebst einer ganzen Batterie alter bestaubter Flaschen. Kaum waren der Wein und die leckeren Gerichte aufgestellt, verschwanden die Überbringer wie die Geister in ›Tausend und eine Nacht‹, ohne sich auf eine weitere Erklärung einzulassen, als dass das alles hierher bestellt und schon bezahlt sei.
Unmittelbar vor neun Uhr trat Holmes lebhaften Schrittes ins Zimmer. Seine Züge trugen einen ernsten Ausdruck, doch ersah ich aus einem gewissen Glanz in seinen Augen, dass der Erfolg seinen Schlüssen recht gegeben habe.
»Also das Abendessen ist bereit«, sagte er und rieb sich die Hände.
»Es scheint, Sie erwarten Gesellschaft; es sind ja fünf Gedecke.«
»Wir müssen uns heute auf einige ungebetene Gäste gefasst machen«, meinte er. »Mich wundert nur, dass Lord St. Simon noch nicht da ist. Doch eben höre ich seinen Tritt auf der Treppe, wie mir scheint.«
Es war wirklich unser Besuch vom Vormittag, der jetzt hereinstürmte und mit verstörtem Ausdruck in den aristokratischen Zügen seinen Zwicker noch eifriger um die Finger schwang als sonst.
»Mein Bote hat Sie also getroffen?«, fragte Holmes.
»Jawohl. Und ich muss gestehen, was er mir ausrichtete, war mir über die Maßen verblüffend. Haben Sie einen sicheren Beweis für Ihre Behauptung?«
»Den besten, der sich denken lässt.«
Lord St. Simon sank auf einen Stuhl und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Was wird der Herzog sagen«, murmelte er vor sich hin, »wenn er hört, welche Demütigung einem Mitglied der Familie widerfahren ist.«
»Es
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