Sherlock Holmes - gesammelte Werke
gebildet?«
»Wenigstens ist mir klargeworden, welches die wesentlichen Tatsachen sind. Ich werde sie Ihnen aufzählen, denn es gibt kein besseres Mittel, Licht über einen Fall zu verbreiten, als wenn man ihn jemandem auseinandersetzt; auch kann ich ja nur auf Ihre Mitwirkung rechnen, wenn ich Ihnen zeige, welchen Standpunkt ich selbst einnehme.«
Ich lehnte mich nun in die Kissen zurück und rauchte meine Zigarre, während Holmes vornübergebeugt dasaß, einen kurzen Umriss der Ereignisse entwarf, welche uns zu der Reise veranlasst hatten, und dabei mit dem langen, dünnen Zeigefinger auf der Fläche seiner linken Hand die verschiedenen Punkte beschrieb, die ihm wichtig erschienen.
»Silberstrahl«, sagte er, »ist ein Abkömmling des berühmten Isonomy, und seine Laufbahn war ebenso glänzend wie die seines großen Vorfahren. Das Pferd steht im fünften Jahr und hat seinem glücklichen Besitzer, Oberst Ross, nacheinander bereits sämtliche Rennpreise eingebracht. Auch der Ehrenpreis von Wessex war ihm, nach allgemeiner Ansicht, so gut wie gewiss; die Wetten verhielten sich wie drei zu eins. – Überhaupt ist Silberstrahl von jeher der bevorzugte Liebling des Rennpublikums gewesen und hat die auf ihn gesetzte Hoffnung noch nie getäuscht; gelegentlich sind wahrhaft riesige Summen auf das Pferd gewettet worden. Hieraus ist leicht ersichtlich, dass eine Menge Leute das stärkste Interesse daran haben mussten, sein Erscheinen auf dem Rennplatz am nächsten Dienstag zu verhindern.
Auch in King’s Pyland, wo Oberst Ross seinen Reitstall hat, war man sich dieser Tatsache wohl bewusst und traf umfassende Maßregeln zum Schutz des edlen Tieres. John Straker, ein früherer Jockey des Obersten, hatte bei allen Wettrennen dessen Farben getragen, bis sein Gewicht zu schwer wurde. Fünf Jahre ist er als Jockey und sieben Jahre als Stallmeister bei seinem Herrn gewesen und hat den Dienst stets mit Treue und Eifer versehen. Sein Amt war übrigens nicht beschwerlich, denn alles in allem standen nur vier Pferde unter seiner Obhut, und er hatte drei Stallknechte zur Verfügung. Einer von diesen Knechten pflegte die Nacht über im Stall zu wachen, während die anderen auf dem Heuboden schliefen. Alle drei standen im besten Ruf und galten für vollkommen zuverlässig. Straker war verheiratet und wohnte in einem kleinen Landhaus, das kaum zweihundert Meter von den Stallgebäuden entfernt liegt; er hatte keine Kinder, hielt sich eine Dienstmagd und lebte in guten Verhältnissen. Die Gegend rund umher ist einsam, doch hat ein Bauunternehmer aus Tavistock etwa eine halbe Meile nach Norden hin ein kleines Villenviertel errichtet, um Erholungsbedürftigen oder anderen Sommerfrischlern, die in der reinen Luft von Dartmoor Stärkung suchen, Unterkunft zu gewähren. Der Ort Tavistock selbst liegt zwei Meilen nach Westen; jenseits des Moors befindet sich in gleicher Entfernung die große Pferdezüchterei von Mapleton, welche Lord Backwater gehört; der dortige Aufseher heißt Silas Brown. Nach jeder anderen Richtung hin ist das Moor völlig verödet und dient nur einigen herumziehenden Zigeunern zum Aufenthalt.
So ungefähr standen die Dinge am letzten Montagabend, ehe das Unglück geschah. Nachdem die Pferde ihren gewöhnlichen Übungsritt gemacht hatten und getränkt worden waren, verschloss man um neun Uhr den Stall. Zwei von den Knechten begaben sich nach Strakers Haus, wo sie in der Küche zu Abend aßen, während Edward Hunter, der dritte, als Wächter zurückblieb. Einige Minuten nach neun brachte ihm die Dienstmagd, Edith Baxter, sein Nachtessen, das in einem Teller voll Hammelragout bestand. Sie nahm kein Getränk mit, da Wasserleitung im Stall war und der Knecht, der die Wache hatte, nichts anderes trinken durfte, das galt als strenge Regel.
Edith Baxters Weg führte über das offene Moor, und da es ganz dunkel war, nahm sie eine Laterne mit. Als sie sich dem Stall bis auf etwa dreißig Meter genähert hatte, tauchte plötzlich aus der Finsternis ein Mann auf und rief sie an. Er trat in den gelben Lichtkreis der Laterne, und sie sah, dass er den besseren Ständen angehörte; er trug einen grauen Anzug aus leichtem Wollstoff, Gamaschen und eine Tuchmütze, in der Hand hielt er einen schweren Stock mit dickem Knauf. Was ihr am meisten auffiel, war jedoch die entsetzliche Blässe seines Gesichts und sein ängstliches Benehmen; nach ihrer Ansicht mochte er eher über als unter dreißig Jahre alt sein.
›Können Sie mir
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