Sherlock Holmes - gesammelte Werke
freundlich, nur einen Augenblick zu warten, ich habe noch eine Frage an das Mädchen zu richten.«
»Ich muss gestehen, dass mich unser Londoner Berater gründlich enttäuscht hat«, sagte Oberst Ross ganz unumwunden, sobald mein Freund das Zimmer verlassen hatte. »Soviel ich sehe, sind wir um keinen Schritt weiter als vor seiner Ankunft.«
»Wenigstens hat er Ihnen ziemlich bestimmt die Versicherung gegeben, dass Ihr Pferd das Rennen mitmachen wird.«
»Jawohl«, meinte der Oberst achselzuckend, »aber das kann jeder sagen.«
Ich wollte eben etwas erwidern und meinen Freund in Schutz nehmen, als er selbst eintrat.
»Nun, meine Herren«, sagte er, »bin ich zur Abfahrt bereit.«
Als wir in den Wagen steigen wollten, öffnete uns einer der Stalljungen den Schlag. Holmes fuhr ein plötzlicher Einfall durch den Kopf, er lehnte sich hinaus und berührte den Arm des Jungen.
»Ihr haltet dort ein paar Schafe im Pferch«, sagte er. »Wer besorgt denn ihre Pflege?«
»Ich, Herr.«
»Ist ihnen in letzter Zeit nichts Besonderes zugestoßen?«
»Nichts von Bedeutung. Drei Schafe waren nur etwas lahm.«
Die Antwort schien Holmes große Freude zu machen, denn er lachte und rieb sich die Hände.
»Ein richtiger Treffer, Watson, ein Schuss ins Schwarze«, sagte er und kniff mich in den Arm. »Gregory, ich empfehle diese seltsame Krankheit unter den Schafen Ihrer Aufmerksamkeit. – Fahren Sie zu, Kutscher!«
Im Gesicht des Obersten stand deutlich zu lesen, welche geringe Meinung er von der Kunst meines Gefährten hegte, aber des Inspektors Miene nahm einen sehr gespannten Ausdruck an.
»Halten Sie das für so wichtig?«, fragte er.
»Für außerordentlich wichtig.«
»Könnten Sie mich nicht noch auf einen oder den anderen Punkt aufmerksam machen?«
»Jawohl – auf das sonderbare Benehmen des Hundes während der Nacht.«
»Der Hund hat sich in der Nacht ganz ruhig verhalten.«
»Ja, darin bestand eben die Sonderbarkeit«, versetzte Sherlock Holmes.
Vier Tage später saßen Holmes und ich abermals im Zug, um nach Winchester zu fahren, wo das Rennen um den Ehrenpreis von Wessex stattfinden sollte. Oberst Ross empfing uns verabredetermaßen am Bahnhof und nahm uns in seinem Wagen zum Rennplatz mit, der außerhalb der Stadt lag. Er machte eine sehr ernste Miene, und sein Wesen war schroff und kalt. »Ich habe mein Pferd nicht zu Gesicht bekommen«, sagte er.
»Vermutlich würden Sie es aber doch wiedererkennen, wenn Sie es sähen?«, äußerte Holmes.
Der Oberst war sehr ärgerlich. »Seit zwanzig Jahren halte ich Rennpferde«, rief er, »aber eine solche Frage hat noch nie ein Mensch an mich gestellt. Jedes Kind würde doch den Silberstrahl an seiner weißen Stirn und dem gesprenkelten rechten Vorderbein erkennen.«
»Wie steht’s mit den Wetten?«
»Sie sind in vollem Gang, und Silberstrahl steht mehr in Gunst als je.«
»Hm«, meinte Holmes, »irgendjemand muss das Publikum beruhigt haben, das ist klar.«
Als der Wagen innerhalb der Umzäunung am großen Halteplatz vorfuhr, warf ich einen Blick auf das Programm, welches die Namenliste enthielt. Es lautete:
Wessex-Preis, 50 Sovereigns, die Hälfte Reugeld für 4-jähr. und 5-jähr.
Pferde. Zusatzpreis 1000 Sovereigns.
Zweiter Preis 300 £. Dritter Preis 200 £; Distanz 2615 Meter.
Der Neger. Eigent. Mr Heath Newton (Mütze rot, Jacke zimmetfarben).
Gräfin Leah. Eigent. Oberst Wardlow (Mütze rosa, Jacke blau und schwarz).
Desborough. Eigent. Lord Backwater (Mütze und Ärmel gelb).
Silberstrahl. Eigent. Oberst Ross (Mütze schwarz, Jacke rot).
Iris. Eigent. Herzog von Balmoral (Mütze und Jacke schwarz und gelb gestreift).
Rasper. Eigent. Lord Singleford (Mütze lila, Ärmel schwarz).
»Wir haben unser zweites Pferd zurückgezogen und unsere ganze Hoffnung auf Ihr Wort gesetzt«, sagte der Oberst.
»Eben wird die Tafel mit den Zahlen angehängt«, rief ich. »Alle sechs stehen darauf.«
»Alle sechs! Dann läuft also mein Pferd auch?«, sagte der Oberst in großer Erregung. »Aber ich sehe es nicht. Meine Farben sind nicht dabei.«
»Bis jetzt sind nur fünf vorübergekommen. Dies hier muss es sein.«
Als ich diese Worte sprach, trabte gerade ein mächtiger Brauner von der Waage her an uns vorbei; der Jockey auf seinem Rücken trug des Obersten wohlbekannte Farben, die schwarze Mütze und rote Jacke.
»Das ist nicht mein Pferd!«, rief der Besitzer des Silberstrahl. »Das Tier hat ja kein weißes Haar am Leib. Was haben Sie da angerichtet,
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