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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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Schritte weit, als ich seinen Zuruf vernahm und sah, dass er mir mit der Hand winkte. Die Spur des Pferdes war in dem weichen Boden deutlich erkennbar, und das Hufeisen, das er aus der Tasche zog, passte genau in den Abdruck.
    »Nun sehen Sie, welchen Wert die Einbildungskraft hat«, sagte Holmes. »Es ist das Einzige, woran es Gregory fehlt. Wir haben uns vorgestellt, was geschehen sein könnte; wir handelten danach und fanden, dass wir uns nicht geirrt hatten. Kommen Sie, lassen Sie uns weitergehen.«
    Wir schritten über den Marschboden, dann über eine Strecke harten dürren Rasens; hierauf senkte sich der Boden wieder, und wir fanden die Hufspuren. Zwar verloren wir sie abermals während einer halben Meile, entdeckten sie jedoch ganz dicht bei Mapleton von Neuem. Holmes sah sie zuerst und zeigte mit triumphierendem Blick darauf hin. Die Fußspuren eines Mannes erschienen neben denen des Pferdes.
    »Bisher war das Pferd allein«, rief ich.
    »Jawohl, es war allein. Aber halt, was ist das?«
    Die Doppelspur brach kurz ab und ging in der Richtung nach King’s Pyland weiter. Holmes pfiff vor sich hin, und wir verfolgten sie. Während er aber kein Auge davon verwandte, blickte ich ein wenig zur Seite und sah zu meiner Überraschung, dass dieselben Spuren in entgegengesetzter Richtung zurückkamen.
    »Bravo, Watson«, sagte Holmes, als ich ihn darauf aufmerksam machte, »Sie haben uns einen weiten Weg erspart, der uns wieder auf den alten Fleck zurückgebracht hätte. Folgen wir jetzt der Spur nach rückwärts.«
    Wir brauchten nicht weit zu gehen. Sie endete bei dem Asphaltpflaster, das bis ans Tor der Stallungen von Mapleton führte. Als wir uns näherten, kam ein Stallknecht eilig heraus.
    »Hier darf sich niemand herumtreiben!«, rief er uns zu.
    Holmes steckte Daumen und Zeigefinger in seine Westentasche. »Ich möchte mir nur eine Frage erlauben«, sagte er. »Könnte ich wohl Mr Silas Brown schon morgen früh um fünf Uhr sprechen?«
    »Warum nicht? Er steht immer zeitig auf und ist zuerst auf dem Weg. Aber fragen Sie den Herrn selbst, da kommt er eben. – Nein, nein, jetzt kann ich nichts nehmen; sobald er sieht, dass Sie mir Geld geben wollen, verliere ich meine Stelle. – Nachher, wenn’s Ihnen beliebt.«
    Gerade als Sherlock Holmes die halbe Krone, die er aus der Tasche geholt hatte, wieder einsteckte, kam ein grimmig dreinschauender älterer Mann, die Reitpeitsche schwingend, aus dem Tor.
    »Was soll das heißen, Dawson?«, schrie er. »Ich dulde kein Geschwätz! Geh an deine Arbeit! Und Sie – was zum Henker wollen Sie hier?«
    »Eine Unterredung von zehn Minuten mit Ihnen, mein werter Herr«, sagte Holmes in verbindlichstem Ton.
    »Ich habe keine Zeit, mich mit jedem Pflastertreter einzulassen. Fremde haben hier nichts zu suchen. Packen Sie sich fort, sonst sollen die Hunde Ihnen Beine machen.«
    Holmes beugte sich nieder und flüsterte dem Stallmeister etwas ins Ohr. Dieser schrak heftig zusammen und wurde rot bis an die Schläfen.
    »Das ist nicht wahr!«, schrie er. »Es ist eine verdammte Lüge!«
    »Sehr wohl. Sollen wir hier draußen öffentlich darüber verhandeln oder drinnen in Ihrem Wohnzimmer?«
    »Kommen Sie meinetwegen herein, wenn Sie wollen.«
    Holmes lächelte. »Ich bin gleich wieder hier, Sie brauchen nur ein paar Minuten auf mich zu warten, Watson«, sagte er. »Nun stehe ich ganz zu Ihrer Verfügung, Mr Brown.«
    Es vergingen wohl zwanzig Minuten; das Abendrot hatte bereits einer grauen Dämmerung Platz gemacht, als Holmes und der Stallmeister wieder erschienen. In der kurzen Zeit war mit Silas Brown eine Veränderung vorgegangen, wie ich das nie zuvor gesehen hatte. Sein Gesicht war aschbleich, Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, und er zitterte so heftig, dass die Reitpeitsche in seiner Hand hin und her schwankte wie ein Zweig, den der Wind bewegt. Das herrische, unverschämte Wesen, das er zur Schau getragen, war völlig verschwunden; er begleitete meinen Gefährten mit kriechender Höflichkeit, wie ein Hund, der neben seinem Herrn herläuft.
    »Ihre Anweisungen sollen befolgt werden. Ich will alles pünktlich ausrichten«, sagte er.
    »Es darf keinerlei Missverständnis vorkommen, beherzigen Sie das wohl«, erwiderte Holmes, und der andere erschrak, als er seinem drohenden Blicke begegnete.
    »O nein, jeder Irrtum ist ausgeschlossen. Es wird zur Stelle sein. Soll ich erst die Veränderung vornehmen oder nicht?«
    Holmes überlegte ein wenig und lachte dann hell auf.

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