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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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zwischendurch ein Blick auf meine Lieben daheim spendeten mir mehr Trost als ein Psalm aus der Bibel. Anfangs war ich darob von vielen meiner Kameraden verlacht worden, die imFeld zur Stärkung des Mutes lieber dem Branntwein zusprachen. Später folgten immer mehr Soldaten meinem Beispiel, die nötige Kraft aus der inneren Einkehr zu schöpfen. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob ich einen Feind klaren Blicks ins Visier nehmen kann oder ob meine Sichtachsen infolge des starken Alkoholkonsums parallel verlaufen. Allein, ich will nicht abschweifen.
    Seit unserem letzten Besuch hatte sich eine Kleinigkeit am äußeren Erscheinungsbild des
Norddeutschen Hofs
geändert: Das reichlich deplatziert wirkende Landschaftsbild im Foyer war endlich verschwunden. Stattdessen hingen dort zwei neue Werke. Das eine war ein kolorierter Kunstdruck von Kaiser Wilhelm II. Der Monarch schaute mit strengem Blick auf ein Seegemälde dicht neben sich, welches eine von Sturm umtoste Küstenlandschaft zeigte. Dieses kunstvolle Arrangement sollte wohl symbolisieren, dass seine kaiserliche Majestät allzeit über das deutsche Volk wachen und dabei selbst einem mittelschweren Orkan trotzen würde.
    Der haselnussfarbene Hirsch mit dem aufgesperrten Maul und dem ausladenden Geweih, der früher an dieser Stelle inbrünstig geröhrt hatte, war anscheinend bei einem Trödler gelandet. Ich hielt das für keinen nennenswerten Verlust. Rotwild interessierte mich in Form einer geschmorten Keule und nicht als ein Ölschinken an der Wand. Auch die übrige Fauna ließ mich kalt. Ich hielt daheim weder einen Hund noch eine Katze noch einen Wellensittich. Keine zehn Pferde würden mich dazu kriegen, nachts mit einer Doppelflinte auf dem Buckel durch den finsteren Tann zu pirschen, um einem Zwölfender aufzulauern.
    Selbstverständlich wusste ich sehr gut, dass es in meiner Heimatstadt London am nördlichen Ende vom Regents Park einen Zoologischen Garten gab, der berühmt für seine Wildgehegewar. Diesen Tierpark hatte ich zum letzten Mal besucht, als meine Familie aus Australien zurückkehrte. Das muss so im August des Jahres 1865 gewesen sein, also kurz bevor ich mein Studium der Medizin am Wellington College im Hampshire aufnahm.
    Im fernen Afghanistan war ich später so viel wilden Tieren begegnet, dass es für den Rest meines Lebens reicht. Einmal, im Frühsommer 1880, hatte ich einem Berglöwen direkt ins Auge geschaut. Glücklicherweise gelang es mir, das blutrünstige Untier mit einigen blindlings abgefeuerten Schüssen aus meinem Revolver zu vertreiben. Ansonsten hatte ich Leoparden, Wölfe, Bären, Hyänen sowie Schakale in viel geringerem Abstand ertragen müssen, als mir lieb gewesen war – von all den giftigen Schlangen ganz zu schweigen, die nur gar zu gerne nachts in mein Zelt gekrochen kamen, weil sie offensichtlich menschliche Nähe und Wärme suchten.
    Um ein Haar hätte ich mich verplaudert, deshalb schnell zurück zum Thema. Bis auf den Bildertausch war im
Norddeutschen Hof
alles beim Alten geblieben, jedenfalls soweit ich es sehen und beurteilen konnte. Mein Freund und ich bezogen zwei separate Schlafräume in der ersten Etage. In dem meinigen stand ein gewaltiges, kastenförmiges Bett, welches fast so lang wie breit war und in dessen weichen Pfühlen die Gäste wie in einem Becken voller Treibsand versanken. Der dreiteilige Kleiderschrank verfügte über mehr Stauraum als sein Gegenstück bei mir zu Hause. Die Schnitzereien, die als Verzierung angebracht waren, behagten mir weniger, denn sie zeigten stilisierte Jagdszenen. Statt einer Chaiselongue gab es zwei unbequeme Stühle. Sie standen mitten im Raum. Das Badezimmer glänzte durch völlige Abwesenheit. Es wurde notdürftig durch eine schmucklose Waschkommode mit einer polierten Marmorplatte und einem holzgefasstenSpiegel ersetzt. Das Möbelstück hatte seinen Platz vis-à-vis dem Fenster zur Straße gefunden. Der Vorteil war nicht von der Hand zu weisen. Beim Rasieren hatte ich einen freien Blick hinaus zur Stadt und auf den gegenüberliegenden Balkon, wo zum Trocknen aufgehängte Damenunterwäsche lustig im Wind flatterte.
    Ein Vorzimmer und ein Salon fehlten ebenfalls. Dafür passte das tönerne Nachtgeschirr unter meinem Bett perfekt zu der ockerfarbenen Waschschüssel und dem dazugehörigen Steinkrug auf der Kommode.
    Holmes wollte in aller Ruhe bis zum Abendessen nachdenken. Die harten Stühle waren für einen Ausflug in seine hermetische Gedankenwelt nicht geeignet. Der

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