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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Demzufolge hängt Ihr Arm höher als gewöhnlich über die Bettkante. Aus diesemGrund beginnen die Kratzspuren nicht am Unterarm, sondern auf dem Handrücken. Die Katze ist erst wenige Wochen alt, deshalb noch relativ klein und zu allerlei Schabernack aufgelegt.«
    »Verblüffend, äußerst verblüffend. Sie können in mir lesen wie in einem offenen Buch. Haben Sie noch mehr solcher Tricks auf Lager?«
    Holmes lächelte. »Es handelt sich um keine Tricks, sondern um eine exakte Wissenschaft. Ich rate nie, sondern ziehe nur aus meinen genauen Beobachtungen gründliche Schlussfolgerungen. Nun ja, allerdings, eine Frage hätte ich da noch.«
    »Und die wäre?«
    »Haben Sie sich mit Ihrem Herrn Vater wieder aussöhnen können?«
    »Nein, er ist mit einem Groll gegen mich im Herzen gestorben.«
    »Ihr Familienoberhaupt war ein hoher Militär…«
    »In der Tat. Woher wissen Sie das? Er hat es bis zum General gebracht.«
    »In Ihrem Dienstzimmer hängt nur ein einziges Gemälde. Es muss also eine besondere Bedeutung für Sie haben. Auf ihm ist ein Offizier hoch zu Ross abgebildet. Er trägt eine Sächsische Reiteruniform vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ergo wird es wohl Ihr Herr Vater sein. Er ließ sich mit einem Siegerkranz abbilden. Seit der Reichsgründung nach dem Krieg gegen Frankreich im Jahr 1871 war das Deutsche Kaiserreich jedoch in keine nennenswerte militärische Auseinandersetzung mehr verwickelt, jedenfalls nicht innerhalb Europas. Demzufolge muss Ihr Vater vergeblich nach Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld gelechzt haben. Alle seine Hoffnung hat er dann auf Sie übertragen. Sie sollten das erreichen, was ihm verwehrt geblieben ist. Vergeblich. Sie sind nicht in seine Fußstapfengetreten, sondern Polizist geworden. Allerdings bemühen Sie sich um eine militärische Haltung. Aber Ihr Vater kann Ihnen nicht verzeihen, weil er tot ist.«
    Der Baron seufzte. Er strich sich mit der linken Hand über die Stirn und murmelte: »Es stimmt alles Wort für Wort. Während meiner Schulzeit war ich ein dickliches Kind, das von allen seinen Kameraden nur gehänselt und schikaniert wurde. Ein Platz auf der Militärakademie war mir sicher, aber ich konnte und ich wollte nicht dorthingehen. Es wäre mein Untergang gewesen. Also verweigerte ich mich. Meine Familie hat mich daraufhin verstoßen. Über Umwege und nur dank der heimlichen Hilfe eines Oheims bin ich Polizist geworden. Es hat nichts genützt. In den Augen meines Vaters bin ich ein Drückeberger und Versager geblieben. Noch bevor meine Karriere richtig begann, ist er gestorben.«
    Nun war es an mir, einige tröstende Worte zu sprechen: »Es ist eine alte Geschichte, und immer wieder wird sie neu erzählt. Wir kennen sie aus der Bibel und aus dem Fastnachtsspiel
Vom verlorenen Sohn
[ 7 ] . Glauben Sie mir, wenn Ihr Vater jetzt noch leben würde und Sie in der schmucken Uniform eines Ersten Kriminalkommissars sehen könnte, wäre er sehr stolz auf Sie.«
    Der Baron lächelte wieder. Ich hingegen wäre vor Scham über meine Schleimerei fast im Boden versunken.
    [ 1 ] Wolfgang Schüler,
Sherlock Holmes in Leipzig
    [ 2 ] lat.:
Wenn nicht keusch, doch vorsichtig
, d.h. den Schein gewahrt.
    [ 3 ] Fechter, in der Studentensprache der Duellant.
    [ 4 ] Die Festungshaft war eine besondere Form der Freiheitsstrafe, die nicht als entehrend galt.
    [ 5 ] Julius Cäsar IV, 3
    [ 6 ] Gefüllte Teigform.
    [ 7 ] Verfasser Burkhard Waldis, deutscher Dichter (1490 - 1556).

E INKAUFSBUMMEL
    Aus den Aufzeichnungen von Dr. Watson
    21.10.1913, Leipzig
    Holmes und ich folgten dem freundschaftlichen Rat von Kriminalinspektor Belzig und nahmen wieder im
Norddeutschen Hof
Quartier. Bei unserem letzten Besuch in Leipzig vor drei Jahren hatten wir nur gute Erfahrungen mit diesem preiswerten Hotel gemacht. Freilich lagen Welten zwischen ihm und dem Berliner
Adlon
, in dem wir bis zum Vortag in einer luxuriösen Suite genächtigt hatten. Gleichwohl wurde die Schlichtheit des
Norddeutschen Hofs
durch seine gute regionale Küche wieder wettgemacht.
    Darüber hinaus braucht jeder Mensch feste Bezugspunkte in der Fremde, an denen er sich orientieren und festhalten kann. Einerseits eignen sich dazu solch solide Rückzugsorte wie eine vertraute Herberge, andererseits können es auch ganz banale Dinge sein. In Afghanistan beispielsweise habe ich in meinem Tornister immer ein gutes Buch und eine künstlerische Fotografie mit mir herumgeschleppt. Einige Seiten aus einem erbaulichen historischen Roman und

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