Sherlock Holmes in Dresden
die Angaben der Freiin stimmen. Wie wir annehmen können, darf dort nur die Herrschaft rauchen. Für die Dienerschaft ist der Tabakkonsum tabu. Ray Morti war, jedenfalls laut der Aussage seiner Hausdame, ein starker Raucher. Aber dummerweise ist dein Geruchssinn ebenso verdorben wie der meinige. Wir beide sind kein Kostverächter und sprechen nur gar zu gerne einem guten Tabak zu. Ich habe zwar einen wunderbaren wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema
Über die Unterscheidung der Asche von verschiedenen Tabaksorten
verfasst und kann hundertvierzig Arten von Pfeifen-, Zigarren-und Zigarettentabak auseinanderhalten. Dies gelingt mir aber nur mit den Augen und nicht mit der Nase. Wäre ein Nichtraucher an deiner beziehungsweise an unserer Stelle gewesen, könnte er mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, wann in der Villa die letzte Zigarette ausgedrückt oder die letzte Pfeife ausgeklopft wurde.«
Holmes hatte recht. Ich erinnerte mich an eine Episode aus meiner Jugendzeit. Ich hatte heimlich in einem Zimmer geraucht. Die Eltern kamen vorzeitig zurück. Ich riss die Fenster weit auf, wedelte mit einer Zeitung und lutschte ein Pfefferminzplätzchen.Es half alles nichts. Meine Mutter konnte ich mit diesen albernen Tricks nicht hinters Licht führen.
Ich erzählte weiter. Holmes teilte viele meiner Schlussfolgerungen, wenn auch längst nicht alle. »Der alte Klaus muss mehr als ein einfacher Dienstbote sein, sonst dürfte er sich nicht solche Nachlässigkeiten gestatten. Aber egal, in einem Punkt hast du völlig recht. Wir haben hier nichts mehr verloren. Das Anmieten der Wohnung war trotzdem keine Fehlinvestition. Mit ihr verfügen wir über ein bequemes Schlafquartier und einen sicheren Rückzugsort. Nun folgt der nächste Streich. Wir besuchen Dr. Alexander von Schleuben-Aumont an seiner Arbeitsstätte. Es kann nicht schwer sein, das Sanatorium ausfindig zu machen.«
In diesem Moment fiel mir wieder ein, woher ich von dem Wunderheiler wusste. »Ich kenne den Mann! Ich habe über ihn im
Königlich Sächsischen Anzeiger
gelesen, als wir mit unseren Nachforschungen in der Bibliothek vom Börsenverein beschäftigt waren.« Dann berichtete ich, was mir von dem Artikel noch im Gedächtnis haften geblieben war.
Holmes überlegte eine Weile, dann wies er auf ein Haus, das links neben dem
Fremdenhof zum Schwedenkönig
stand.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht, was er mir mit dieser Geste sagen wollte.
»Sieh nur genau hin!«
»Es ist ein vierstöckiges Gebäude mit grauem Putz. In der zweiten Etage hängt Wäsche aus dem Fenster. Daraus kann ich schlussfolgern, dass es sich um ein ganz gewöhnliches Mietshaus handelt.«
»Nicht schlecht für den Anfang. Aber es stimmt nicht ganz. Was hängt direkt neben der Eingangstür?«
»Ein Messingschild. Es ist groß genug. Ich kann von hier aus erkennen, was auf ihm steht:
Dr. med. Karl Hasse, Geheimer
Medizinalrat, Neurologe
. Dieser Name sagt mir aber nun wirklich nichts.«
»Ganz im Gegenteil, er verrät uns, dass es sich um einen Kollegen von Dr. Alexander von Schleuben-Aumont handelt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Entweder Dr. Hasse steht den Praktiken des Scharlatans ablehnend gegenüber oder er bewundert den großen Meister. Auf jeden Fall kann er uns mit einigen Informationen versorgen, die wir auf anderem Weg nur sehr viel mühevoller erlangen würden. Wenn der Medizinalrat ein Freund des Wunderdoktors ist, wird er uns einiges von dem erzählen wollen, was er über ihn weiß. Falls es sich jedoch um einen Feind handelt, sieht die Sache schon ganz anders aus. Dann wird uns Dr. Hasse restlos alles berichten. Was meinst du, lieber Watson, welche von den beiden Varianten ist die wahrscheinlichere? Freund oder Feind?«
»Gar keine, es steht fünfzig zu fünfzig.«
Holmes lächelte. »Invidia, der Neid, ist eine der sieben biblischen Todsünden. Im Gegensatz zur Völlerei, zur Wollust und zur Faulheit verschafft sie keine Befriedigung. Der Neid geht mit der Eifersucht und mit der Missgunst einher, nagt am eigenen Ego und löst ein Minderwertigkeitsgefühl aus. Ich wette hundert zu eins, dass Dr. med. Hasse neidisch auf seinen Kollegen von Schleuben-Aumont ist. Und zwar deshalb, weil er als Geheimer Medizinalrat in dieser anrüchigen Gegend praktizieren muss, während seinem feinem Herrn Kollegen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.«
*
Das Wartezimmer hatte schon bessere Tage gesehen. Wir saßen auf einer verschlissenen Lederbank. Die
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