Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
Freifräuleins ließ sich nicht ablesen, ob ihr mein Scherz gefallen hatte. Ohne auf meine Bemerkung einzugehen, fuhr die Hausdame fort: »Jakob Morti, der ältere Bruder und frühere Seniorpartner der Firma, ist an Lungenkrebs gestorben. Es war furchtbar. Nun sind bei meinem Herren ähnliche Symptome aufgetreten. Er hat sich auf eigenen Wunsch Ende der vorigen Woche in eine Heilanstalt einweisen lassen. Sie liegt hier ganz in der Nähe und wird von einer der größten wissenschaftlichen Kapazitäten der Gegenwart geleitet. Dr. Alexander von Schleuben-Aumont ist ein Spezialist für die unterschiedlichsten Lungenkrankheiten. Er hat enorme Heilerfolge zu verzeichnen, weil er sich nicht nur auf die Schulmedizin verlässt, sondern die vielfältigsten anderen Behandlungsmethoden anwendet. Mein Herr ist deshalb zuversichtlich, das Sanatorium schon bald wieder völlig genesen verlassen zu können.«
    Ich hatte da so meine Zweifel, zumal meine geliebte Constance 1887 an einer bösartigen Lungenkrankheit gestorben war. Den Namen des Arztes Schleuben-Aumont hatte ich vor Kurzem schon einmal gehört. Aber es wollte mir beim besten Willen nicht einfallen, wann und wo das gewesen sein könnte.
    Meine Mission in der Villa war damit beendet. Es hatte keinen Sinn, bis zum Sankt-Nimmerleinstag auf die Rückkehr von Ray Morti warten zu wollen. Das Wild war flüchtig. Wir mussten es anderenorts aufstöbern. Wohlan, die Jagd beginnt, pflegte Holmes in solchen Fällen gerne zu sagen.
    Allerdings wollte ich das edle Freifräulein auch nicht vor den Kopf stoßen. Abgerechnet wird zum Schluss, heißt esschließlich nicht umsonst. Außerdem trifft man sich immer zweimal im Leben. Deshalb verbarg ich meine wahren Gedanken und verabschiedete mich recht überschwänglich. Ich versprach wider besseres Wissen, mindestens fünf Wochen zu warten, ehe ich mich nach einer anderen Stelle umsehen würde.
    Dem Hausdrachen gelang es in diesem Moment, sich ein flüchtiges Lächeln abzuringen. Ein flüchtiger, rosiger Hauch bedeckte seine Wangen. Irgendetwas an meinem Auftreten hatte mich wohl der Freiin sympathisch gemacht. Vermutlich steckte unter der rauen Schale sogar ein weicher Kern.
    Sei dem, wie ihm wolle. Auf jeden Fall lieferte mir Clara von Dombusch einen überdeutlichen Gunstbeweis: Ich musste mich nicht wieder in die Obhut des alten Klaus begeben, sondern durfte die Villa auf direktem Weg zur Vordertür hinaus verlassen.
    [ 1 ] Herausgebauter, offener Teil eines Gebäudes, der aus dem oberen Stockwerk einen Austritt ins Freie gestattet.
    [ 2 ] Unverheiratete Tochter eines Freiherrn. Freiherr ist der Titel eines Adligen, welcher – gleichrangig mit einem Baron – eine Stufe unterhalb eines Grafen steht.

D ER WEIßE H IRSCH
    Aus den Aufzeichnungen von Dr. Watson
    24.10.1913, Dresden
    Auf der Straße lupfte ich meinen Hut und wischte mir mit einem Schnupftuch den Schweiß von der Stirn. Das war das Zeichen für Holmes, sich mit mir in einer halben Stunde auf der Parkbank am Gustav-Adolf-Platz zu treffen. Auf dem Weg dorthin wendete ich alle Tricks an, die ich kannte, um einen etwaigen Verfolger zu enttarnen: Ich betrachtete ausgiebig Schaufensterauslagen und beobachtete dabei im Spiegelbild die Passanten hinter mir. Ich schritt mal schneller und mal langsamer aus und versuchte auf diese Weise herauszufinden, ob ein anderer Fußgänger sich bemühte, stets den gleichen Abstand zu mir einzuhalten. Das eine Mal rannte ich ganz unvermittelt los, ein anderes Mal machte ich auf dem Absatz kehrt und ging den gleichen Weg zurück. Doch ich konnte keinen Abgesandten der finsteren Mächte um Colonel Moran entdecken.
    Schließlich setzte ich mich auf die Parkbank und beobachtete die Leute, die Kutschen und die Automobile. Ich bemerkte nichts, was meinen Argwohn erweckt hätte.
    Irgendwann fragte mich Holmes: »Was ist schiefgegangen?«
    Ich schrak zusammen, denn ich hatte ihn nicht kommen hören. Mein Freund konnte sich noch immer lautlos anschleichen wie ein Apatsche.
    Ich antwortete ihm: »Nichts ist schiefgegangen. Moriarty hat Lungenkrebs und liegt in einem Sanatorium.« Dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte.
    Holmes stellte mir viele Fragen. Er wollte alle Einzelheiten wissen. Ganz besonders interessierte ihn das Aussehen der Familienporträts in der Halle und ob es im Haus nach Tabakrauch gerochen hätte.
    »Weshalb ist das wichtig?«, wollte ich wissen.
    »Weil wir daraus Rückschlüsse ziehen können, seit wann die Villa verwaist ist und ob

Weitere Kostenlose Bücher