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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden
Autoren: Wolfgang Schüler
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Wackersteine, dass es nur so seine Art hatte. Es roch durchdringend nach Fichtennadeln und würziger Waldluft. Ab und zu rief ein Käuzchen. Nur die Wölfe heulten noch nicht. Doch Transsylvanien und Graf Dracula konnten nicht mehr weit sein. Das unsagbar Böse hatte sich bereits manifestiert.
    Draußen war stockfinstere Nacht. Ab und an fand ein Mondstrahl seinen Weg zu mir in das Wageninnere. Mit der Zeit konnte ich mich in meinem rollenden Gefängnis orientieren.
    Ich musste nicht lange raten, wohin die Reise gehen sollte. Die Burg Zingel sollte zweifellos das Ziel der Reise sein. Mir fielen wieder meine Schreckensvisionen von der Zange und den Fingerkuppen ein. Wie es schien, hatte ich mit meinen Vermutungen daneben gelegen. Ich würde nicht so billig mit ein paar zerquetschten Gliedmaßen davonkommen. Dieser Schweinehund von Schleuben-Aumont hatte offenbar Größeres mit mir vor. Wie ich aus medizinischen Journalen wusste, kam es auf die entsprechende ärztliche Betreuung an. Dann hielten Folteropfer, denen nach und nach sämtliche Gliedmaße amputiert wurden, Wochen und Monate durch. So gesehen wäre es wohl besser gewesen, wenn ich zuvor tatsächlich den Abgang gemacht hätte und nicht lediglich in eine tiefe Ohnmacht gefallen wäre.
    Eine Weile schwamm ich auf einer Welle des Selbstmitleids. Aber dann fasste ich mich wieder. Es gab immer eine Lösung. Ich musste sie nur finden. Mein Freund Sherlock Holmes hatte mir viele einfache Tricks beigebracht. Sehen heißt Beobachten. Beobachten heißt Analysieren. Nur dass es im Moment nicht viel anzuschauen gab. Aber ich konnte immerhin noch fühlen. Bald hatte ich es herausbekommen:Meine Hand-und Fußgelenke steckten in fest angezogenen Lederschlaufen, die mit stabilen Metallösen am Rahmen der Pritsche verbunden waren. Zusätzlich spannten sich zwei breite Riemen kreuzweise über meinen Körper. Ich musste an den großen amerikanischen Entfesselungskünstler Houdini [ 1 ] denken, der sich in einer Zwangsjacke kopfüber an einen Wolkenkratzer hatte hängen lassen. Für ihn würde es ein Klacks sein, sich aus diesen Ledergurten zu befreien.
    Und ich erinnerte mich an Wuk, den Hund einer Tante mütterlicherseits. Der Dobermann hatte angekettet auf dem Hof gelegen, als ihn die läufige Hündin des Nachbarn am Zaun zu locken begann. Wuk konnte nicht widerstehen. Er zerrte so lang an der Kette, bis er sich das Halsband mitsamt eines blutigen Stücks Fell über den Kopf gestreift hatte. Die Sache ging gut für ihn aus. Wuk überlebte. Die Hündin warf sieben Junge.
    Da ich Rechtshänder bin, entschied ich mich für meine Linke. Ich drehte und rieb so lange mit dem Gelenk in dem engen Ledergurt hin und her, bis die Haut wund wurde. Dann zog ich stetig und mit aller Macht. Das Blut wirkte als Gleitmittel. Thou für Thou [ 2 ] rutschte die Hand aus der Fessel. Es tat fürchterlich weh. In dieser an Schmerzen wahrlich nicht raren Nacht wurde diese selbst verordnete Folter zu einer völlig neuen Erfahrung an Pein.
    In dem Maße, wie ich Stück für Stück die Fessel abstreifen konnte, wurden die obersten Hautschichten meiner Hand abgezogen. Sie lösten sich vom Fleisch und blieben als die Rudimente eines Handschuhs zurück. Dann gab es einen Ruck … und meine Linke war gänzlich frei. Das Blut tropfte.
    Nun musste ich schnell handeln, denn ich würde die Hand nicht mehr lange bewegen können. Die Verletzungen waren zu stark. Ich quetschte meinen Arm unter den Ledergurt übermeiner Brust. Die offene Wunde brannte, als ob jemand Salz daraufgestreut hätte. Schließlich ertastete ich die Schnalle an der anderen Hand. Mit letzten Kräften zerrte ich an dem Riemen. Die Schnalle löste sich. Auch meine rechte Hand war nun frei.
    Mein Puls raste. Doch der Rest war ein Kinderspiel. Lediglich meine Linke machte mir Sorgen. Sie wurde allmählich steif. Kurz darauf stand ich mit wackligen Beinen neben der Pritsche. Die nächste dringende Aufgabe stand an: Ich musste eine drohende Blutvergiftung verhindern. Sobald Dreck an das rohe Fleisch gelangte, war es mit mir vorbei.
    Glücklicherweise befand ich mich in einem Krankenwagen. Ich hatte Vertrauen in die deutschen Tugenden, die da hießen Gründlichkeit und Pflichtbewusstsein. Und richtig: Unter der Liege ertastete ich einen Blechkasten. Ich zog ihn vor und öffnete den Deckel. Mir stieg ein vertrauter Geruch von Kernseife und Kamille in die Nase. Ich hatte das Verbandszeug gefunden. In einem Tiegel befand sich eine Art Schmiere. Ich
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