Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden
Autoren: Wolfgang Schüler
Vom Netzwerk:
Schüssel, seitdem er von einem Ackerwagen überfahren wurde. Und der Liebig Kurt arbeitet beim Leichenfritzen in der Stadt. Wenn er nicht wie vorhin aus beruflichem Interesse Todesanzeigen studiert, quatscht er ohne Unterlass über weiße Würmer in den Gedärmen, über Hände, die aus Gräbern wachsen, und weiter solchen Mist.«
    »Nicht viel los zu dieser Jahreszeit?«, stellte Holmes die passende rhetorische Frage.
    »In diesem Kaff gibt's keine Saison. Touristen verirren sich nur selten hierher. Die Einheimischen halten ihr Geld fest, wie Sie gesehen haben. Aber ich will nicht klagen. ›Und ist der Handel noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein‹, sagt schon das Sprichwort.«
    Irgendwo hatte ich diesen Spruch vor Kurzem schon einmal gehört, aber mir wollte nicht einfallen, wann und von wem.
    Der Wirt sprach weiter: »Ich komme über die Runden, und das ist viel mehr, als manch anderer von sich behaupten kann. Ich muss weder Pacht noch Miete zahlen, denn die Schänke gehört mir ganz allein. Und wenn ich beim Anschreiben aufpasse und nicht zu meinem besten Kunden werde, kann das noch lange so bleiben«, sprudelte es auf einmal aus dem dicken Mann heraus, so als ob ein unsichtbarer Bann gebrochen wäre.
    Ich roch vorsichtig an einem Kräuterlikör, der unvermittelt neben meinem Glas aufgetaucht war. Außer hochprozentigem Alkohol schien er kein weiteres Gift zu enthalten. Ich kippte ihn mit Todesverachtung hinunter und spülte mit einem kräftigen Schluck Bier nach. »Hier in der Nähe steht doch eine berühmte Burg. Zieht die keine Besucher an?«
    »Is' bloß noch 'ne bessere Ruine. Irgendein Doktor aus Dresden hat sie vor ein paar Jahren gekauft. Das war dann auch der Anfang vom Ende der Burg. Seitdem wurde nichts mehr investiert. Es begann durchzuregnen. Ich war schon lange nicht mehr oben… Die Burg ist für den Besucherverkehr gesperrt…«
    Holmes wechselte schnell das Thema. »Wir suchen zwei Betten. Können wir hier übernachten?«
    Ich warf rasch ein: »In einem Doppelzimmer.«
    »Ja, sicher doch. Die Zimmer sind einfach, aber in Ordnung. Zehn Mark pro Nacht, mit Frühstück. Geht das in Ordnung?«
    »Sehr schön.«
    Der Wirt erhob sich abrupt: »Es ist schon spät, und die Herren werden sicher müde sein. Ich muss jetzt die Abrechnung machen und aufräumen. Falls Sie noch spazieren gehen wollen– der Zimmerschlüssel passt auch an die Haustür. Das sage ich Ihnen nur für alle Fälle. Bleiben Sie besser im Haus. Es gibt hier nichts, was einen Besuch um diese Zeit noch lohnen könnte. Der
Auerhahn
ist die einzige Kneipe im Ort. Ach ja, eine Frage noch, wann möchten Sie Ihr Frühstück haben?«
    »Wie wäre es um neun?«
    »Geht in Ordnung. Hier sind Ihre Schlüssel. Sie sind die einzigen Gäste und haben das Zimmer sieben. Hier, nehmen Sie zwei Leuchter. Lassen Sie am besten ein Licht die ganze Nacht über brennen. Oben gibt's nämlich keine Toilette, und wir wollen doch nicht, dass jemand im Dunkeln zu Schaden kommt. Wenn Sie Ihr Geschäft verrichten wollen, müssen Sie hinaus auf den Hof gehen. Der Abort steht genau neben dem Misthaufen. Passen Sie auf, dass Sie nicht hineinfallen. Gute Nacht, die Herrschaften.« Der fette Wirt erhob sich und verschwand ins Hinterzimmer.
    »Wir sollten morgen früh versuchen, noch einige Erkundigungen einzuholen. Am besten beim Pfarrer – falls diese Berufsgruppe hier vertreten ist. Und dann entscheiden wir, was weiter zu tun ist«, meinte Holmes oben auf dem Zimmer zu mir.
    Ich hängte meine Jacke an einen Haken neben der Tür und öffnete das Fenster. Ich steckte den Kopf hinaus und sah die Straße hinauf und hinab. Keine einzige Laterne brannte. Nur aus einigen weit verstreuten Häusern drang noch ein matter Lichtschein. Über dem gesamten Ort lag eine friedliche Stille. Lediglich von ganz weit hinter dem Berg hörte man den Motor eines einsamen Automobils, das sich um enge Kurven quälte. Ich zog den Vorhang zu. Das Zimmer war ein schmaler Schlauch, in dem ein roh gezimmertes Doppelbett die Hälfte der linken Wand einnahm. Von der Decke herab hing ein kerzenloser Leuchter. Der Holzfußboden war abgezogenund geölt, ebenso wie die Dielenbretter, die als anderthalb Meter hohes Paneel rings um den Raum liefen. Dem gleichfalls aus Dielenbrettern gezimmerten Kleiderschrank war irgendwann die Tür abhandengekommen, und die Zimmertür wiederum besaß zwar einen Schlüssel, aber kein Schloss. Als einziges Sitzmöbel fungierte ein winziger Sessel mit rotem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher