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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Bezug, der aus dem Hausstand eines Liliputaners zu stammen schien. Es gab keinen Nachttisch, geschweige denn ein Waschbecken.
    »Was will man für zehn Mark pro Nacht auch mehr verlangen«, murmelte ich, als ich mich rechts ins Bett legte.
    Die Matratze war angenehm hart, das Deckbett ausreichend warm, das Kopfkissen groß und weich. Ich schloss die Augen und ließ den Tag in Gedanken Revue passieren. Ich befand mich gerade im Moment des sanften Hinübergleitens in den Schlaf, als mich ein unerwartetes Geräusch aufschrecken ließ. Draußen auf der Straße kam in der Stille der Nacht ein einzelnes Motorrad herangeknattert und hielt direkt vor dem Gasthof. Die Zündung wurde abgestellt. Dann schabte Metall auf Stein, als der Fahrer die Maschine aufbockte. Ich reckte den Kopf, öffnete den Mund und lauschte. Draußen war wieder völlige Ruhe eingekehrt. Nach einigen Sekunden angestrengten Horchens ließ ich den Kopf zurücksinken und mummelte mich erneut in meine Decke ein.
    Plötzlich vernahm ich ein leises Klirren, so als ob ein metallenes Werkzeug auf den Boden gefallen wäre. Ich warf nun die Decke beiseite und sprang mit einem gewaltigen Satz aus dem Bett. Dabei traf ich den Blechnachttopf, der daraufhin scheppernd über den Boden rollte und gegen die Zimmerwand knallte. Das Geräusch schien bis auf die Straße gedrungen zu sein, denn unten trappelten eilige Schritte, und die Zündung des Motorrads sprang an.
    Als ich den Vorhang beiseiteschob, sah ich ein einzelnes Licht in der Nacht verschwinden.
    Holmes fragte mich: »Konntest du jemanden erkennen?« Ich verneinte und ging wieder zu Bett. Der Rest der Nacht verlief ungestört.

D IE M AUER DES S CHWEIGENS
    Aus den Aufzeichnungen von Dr. Watson
    26.10.1913, Tennendorf
    Als wir am nächsten Morgen in den Schankraum kamen, ließ sich der dicke Wirt nicht blicken. Statt seiner bediente uns ein ebenso fettes Mädchen, das seine Abstammung beim besten Willen nicht verleugnen konnte. Es steckte in einem sackartigem Gewand aus Nesselstoff und bewegte sich mit schildkrötenhafter Geschwindigkeit. Das gute Kind besaß vielleicht alles Mögliche – nur kein Talent zum Bedienen. Doch es fehlte an nichts. Nach zwanzig Minuten waren wir mit allem Lebensnotwendigen versorgt: schwarzer Kaffee und Toast, Rühreier mit Schinken, mehrere Sorten Landwurst sowie Marmelade und ein Fässchen mit gelber Butter.
    Holmes sagte zu dem Mädchen: »Letzte Nacht hat ein Motorrad vor unserem Fenster gehalten.«
    »Das kann nicht sein. Hier gibt es weit und breit noch nicht einmal ein Automobil. Wenn Sie ein Motorrad sehen wollen, müssen Sie zurück in die Stadt gehen.«
    Draußen auf der Straße strahlte die Sonne vom leuchtend blauen Himmel, und alles Böse dieser Welt schien weiter von Tennendorf entfernt zu sein als der nächste Fixstern. Ein verhärmtes,altes Mütterchen kam vorbei. Sie hütete eine Schar Gänse.
    Holmes sprach sie an: »Zur Burg Zingel geht es doch die Dorfstraße entlang immer weiter in den Wald hinein, richtig?«
    Die Alte blieb stehen, schnäuzte sich in ihren bunten Rock und brabbelte dann: »Von diesem Weg würde ich Ihnen dringend abraten, mein Herr. Sie könnten sich leicht verirren und ins Hochmoor geraten. Dort sind schon einige Fremde auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Kehren Sie um und bleiben Sie in der Stadt. Dort sind Sie sicher.« Wie auf Kommando drehten sich die Gänse zu uns um, streckten ihre Hälse aus und begannen zu zischen.
    Holmes zog mich am Ärmel zurück. »Ich komme mir vor wie die Hauptfigur in einem Schauerroman. Alles in diesem Ort scheint sich um die Burg zu drehen, aber es ist verboten, darüber zu sprechen. Wir probieren es beim Pfarrer. Er wird uns sagen, was wir wissen wollen.«
    Im Kirchgarten, der von einer halbhohen Mauer aus runden Feldsteinen eingefasst war, jätete ein Jugendlicher mit verstrubbelten, dunkelblonden Haaren Unkraut. Er trug eine ausgebeulte Arbeitshose, Sandalen, einen grünen Strickpullover mit spitzem Ausschnitt und eine runde Nickelbrille.
    »Guten Tag, mein Sohn«, sagte ich zu ihm. »Weißt du, wo wir den Pfarrer finden?«
    Der Junge hob den Kopf. Nun sahen wir, dass er wesentlich älter war, als es den Anschein gehabt hatte. Die Kleidung und seine schmächtige Gestalt täuschten über sein wahres Alter hinweg. Aus den Falten um seine gutmütigen Augen ließ sich schließen, dass er bereits Ende dreißig war. »Sie haben ihn bereits gefunden, meine Herren. Bitte entschuldigen Sie mein Äußeres. Aber bei

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