Sherlock Holmes in Dresden
Namen gezeichnet?«
Der Pfarrer lehnte sich in seinem Klappstuhl zurück, faltete die Hände über seinem Bauch, richtete die Augen gen Himmel und meinte zufrieden: »Die Wege des Herren sind unergründlich, aber meistens wendet sich alles zum Guten. Nun, ich will es einmal so sagen: Es hängt von Ihren Möglichkeiten ab. Die Kollekte steht jedem Besucher unseres Kirchsprengels zur Verfügung, aber falls Sie eine Quittung für Ihre Unterlagen benötigen, sollten Sie mich besser hinüber in das Pfarramt begleiten.«
»Gerne, sofern Sie dort über einen Telefonapparat verfügen.«
Während Holmes sein Gespräch mit Dresden führte, ließ ich mir vom Pfarrer einen schachbrettartig behauenen Stein an der Südseite der Kirche kurz vor dem hölzernen Turm zeigen. »Die herausgehobene Position verrät seine besondere Bedeutung. Über den Sinn gibt es viele Spekulationen. Ist es das Zeichen einer Bauhütte oder eine Abwehrzinke gegen das Böse oder ein Ornament mit einem griechischen Doppelkreuz?«
»Ich tippe auf ein Zunftzeichen«, entgegnete ich. »Schließlich ist es ja auch üblich, Ziegelsteine damit zu versehen.«
Nachdem mein Freund zurückgekehrt war und wir uns verabschiedet hatten, berichtete er mir, was er erreichen konnte: »Der Geheime Polizeirat ist selbst leider unabkömmlich. Über Ray Morti ist bislang nichts aktenkundig geworden. Gegen von Schleuben-Aumont liegen hingegen bereits gewisse Verdachtsmomente vor. Von Lauschbach-Hecker will deshalb ein halbes Dutzend Schutzleute unter der Führung eines Kommissars losschicken, die zur Mittagsstunde auf der Burg eintreffen und dort alles genauestens untersuchen werden.«
Als wir weitergingen, äußerte ich, wobei ich in Gedanken die Schmerzen in meiner linken Hand ausblendete: »Wir sollten die wenig ergiebigen Erkundungen im Dorf einstellen und stattdessen gleich den Stier bei den Hörnern packen.«
»Nur noch ein Interview«, entgegnete Holmes, der ein interessantes Zielobjekt ausgemacht hatte. Vor einem Grundstück auf der anderen Straßenseite war eine brünette Frau in Holzschuhen und einem blauen Wams mit einem viel zu kurzen Rock, der knapp über den Knöcheln endete, emsig bei der Arbeit. Sie schaufelte mit einer Forke Kartoffeln voneinem zweirädrigen Karren aus in eine Futterluke an der Scheunenrückwand. Ich trat näher heran, ließ anerkennend meine Blicke über ihre dralle, ansehnliche Figur schweifen und verweilte bei der Betrachtung der sich durch den Stoff abzeichnenden Beine etwas länger, als es unbedingt notwendig gewesen wäre.
Holmes verpasste mir einen leichten Stoß in die Rippen. Dann räusperte er sich und sagte: »Entschuldigen Sie bitte die Störung. Wir wollen die Burg auf dem Hasenstein besichtigen. Niemand kann uns sagen, welches der beste Weg dort hinauf ist. Können Sie uns vielleicht weiterhelfen?«
Das Gesicht der Frau war dunkelrot vor Anstrengung. Der Schweiß lief ihr in Bächen die Stirn herunter. Sie richtete sich auf und drehte sich um. Die linke Hand stützte sie auf den vom jahrzehntelangen Gebrauch blank polierten Forkenstil, mit der Rechten strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wissen Sie«, sagte sie. »Ich bin seit fünf Jahren Witwe. Ich betreibe seither ein wenig Landwirtschaft. Weshalb auch nicht. Ich habe meine Beschäftigung und komme nicht zum Grübeln. Abends kann ich besser einschlafen. Geld wirft es kaum ab, aber es hilft mir, welches einzusparen. Deshalb musste ich mein Haus nicht verkaufen, obwohl es schon Angebote gab. Keine guten zwar, aber Angebote. Den Kartoffelacker habe ich von einem Doktor aus der Stadt gepachtet, dem inzwischen die halbe Gegend hier gehört. Der Vertrag läuft im nächsten Jahr aus. Ich möchte ihn verlängern. So, und nun muss ich wieder an die Arbeit. Oder haben Sie weitere Fragen?«
Auf dem Weg hinauf zur Burg begegnete uns ein magerer Fuchs, der mir einen – so schien mir jedenfalls – spöttischen Blick zuwarf, ehe er auf die andere Seite schnürte und in den Wald verschwand. Zwischen Holmes und mir bestand dasstille Einvernehmen, nichts zu riskieren. Wir wollten nur einen Blick auf das Areal werfen. Außerdem waren wir beide bewaffnet.
[ 1 ] Romanfigur von Gilbert Keith Chesterton (1874 - 1936).
[ 2 ] Pfarrbezirk
8. Kapitel
Colonel James Moriarty
Der Atem stockte mir, als ich plötzlich die vertraute
Stimme hörte. »Hallo, Watson, mein Freund.«
Ralf Kramp,
Das Gesicht im Nebel
E INBRECHER
Aus den Aufzeichnungen von Dr. Watson
26.10.1913,
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