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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden
Autoren: Wolfgang Schüler
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der Gartenarbeit pflege ich mich leger zu kleiden.«
    Er legte die Hacke weg, kam auf uns zu, wischte sich die Hände an der Hose ab und streckte sie uns zur Begrüßung entgegen. »Ich bin Pfarrer Braun, Andreas Braun. Die Leute nennen mich in einem hier seltenen Anflug von Humor gerne ›Pater Brown‹ [ 1 ] . Das ist umso verwunderlicher, weil die meisten von ihnen weder lesen noch schreiben können und unter Garantie noch keinen englischen Roman in den Händen gehalten haben. Was kann ich für Sie tun? Suchen Sie geistlichen Beistand oder wollen Sie nur die Kirche besichtigen?«
    »Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis«, entgegnete Holmes an meiner statt. »Wir möchten Sie lediglich um einige Auskünfte bitten.«
    »Sofern ich damit dienen kann, gerne. Bitte nehmen Sie doch auf der Bank vor der Kirche Platz. Im Stehen plaudert es sich so schlecht. Ich hole mir nur geschwind den Klappstuhl von dort drüben. Wünschen Sie eine kleine Erfrischung?«
    »Vielen Dank, Herr Pfarrer«, wehrte Holmes ab. »Sie stammen wohl nicht hier aus der Gegend?«
    Der Priester schmunzelte. »Sie haben schon mit einigen Einheimischen zu tun gehabt, fürchte ich. Nein, dieser Ort hier gehört zu meiner Parochie. [ 2 ] Nun, fragen Sie, was möchten Sie wissen?«
    Holmes ergriff das Wort: »Ich bin ein britischer Journalist und möchte einen Artikel über die Burg Zingel schreiben. Doch sobald wir die Sprache darauf bringen, bleiben die Leute im Ort stumm wie die Fische im See. Woran mag das nur liegen?«
    »Tut mir ausgesprochen leid, aber ausgerechnet diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Selbstverständlich habe ich mir mit als Erstes die Burg angesehen, als ich hiervor drei Jahren die Stelle antrat. Sie ist immer noch ein beeindruckendes Bauwerk, auch wenn sich der Bauzustand permanent verschlechtert. Es ist eine Schande, dass der Besitzer ein solches Kulturgut derartig verkommen lässt. Doch schauen Sie sich nur unsere Kirche an. Um ihr Äußeres ist es nicht viel besser bestellt.«
    »Aha, interessant«, bemerkte Holmes. »Da Sie schon einmal dort waren: Welchen Wanderweg zur Burg können Sie uns empfehlen?«
    »Die Dorfstraße entlang und immer der Nase nach. Dann treffen Sie unweigerlich auf die Burg, auch wenn man sie von hier aus leider nicht sehen kann. Doch sobald Sie einige hundert Meter durch den Wald gelaufen sind, schwenkt der Weg scharf rechts um ab. Es geht einen steilen Anstieg hinauf auf den Hasenstein. Gleich dahinter stoßen Sie auf die Außenwälle, den Burggraben und die Zugbrücke.«
    »Vorhin haben wir eine Gänsehüterin gefragt. Sie hat uns von dieser Route abgeraten und vor einem Hochmoor gewarnt«, wunderte ich mich.
    »Wie ich schon angedeutet habe: Hier wohnen merkwürdige Menschen. Außerdem übt der Burgbesitzer einen ungünstigen Einfluss aus. Er setzt die Leute unter Druck. Vor Kurzem erst hat er den
Goldenen Auerhahn
aufgekauft. Nun befürchten die Dorfbewohner, er würde ihn schließen. Er ist der kulturelle Mittelpunkt im Ort – außer der Kirche natürlich.«
    »Sehr merkwürdig. Wir logieren nämlich im
Auerhahn
. Gestern Abend haben wir uns mit dem Wirt unterhalten. Er hat uns ungefragt erzählt, dass er gut zurechtkommen würde.«
    Der Pfarrer lächelte milde: »Weshalb sollte er Wildfremden sein Herz öffnen?«
    »Da haben Sie allerdings völlig recht«, pflichtete ihm Holmes bei. »Außerdem sind Lügen manchmal viel interessanter als die Wahrheit – sofern man in der Lage ist, das eine vom anderen zu unterscheiden. Wo wohnen Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Im Nachbarort. Er heißt Demmrode. Wie ich bereits erwähnte, gehört Tennendorf zu meiner Pfarrei. An drei Tagen der Woche komme ich morgens und fahre abends.«
    »Mit dem Motorrad?«
    »Nein, nein. Ich benutze in der Regel – sofern es das Wetter zulässt – ein Fahrrad der Marke
Corona
. Es hat mich am Anfang zwar einige Überwindung gekostet – die hohen Berge, Sie verstehen –, doch inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Fahrradfahren hält jung und aktiv. Für Menschen in meinem Alter gehört es zu den wenigen empfehlenswerten Sportarten – etwa wie Schwimmen oder dieses aus England stammende Spiel namens Badminton.«
    »Ein gesunder Körper hält den Geist beisammen, stimmt's?«, gab Holmes einen Allgemeinplatz zum Besten. »Doch nun zu einem ganz anderen Thema. Ich würde gern den Wiederaufbau der Kirche mit einer kleinen Spende unterstützen. Gibt es eine anonyme Kollekte oder werden die Beiträge mit
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