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Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot

Titel: Sherlock Holmes - Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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lange.« Die Augen des Mannes waren auf den nördlichen Horizont gerichtet. Am blauen Himmelszelt waren drei winzige Flecken erschienen, die jeden Augenblick größer wurden. Bald waren drei große, braune Vögel zu erkennen, die die Köpfe der beiden Wanderer umkreisten und sich dann niederließen, um sie zu beobachten. Es waren Bussarde und sie kamen als Vorboten des Todes.
    »Männchen und Weibchen«, rief das kleine Mädchen vei> gnügt und wies auf die
    schicksalhaften Boten, klatschte in die Hände, damit sie aufflogen. »Sag mal, hat der liebe Gott dieses Land gemacht?«
    »Natürlich hat er das getan«, sagte ihr Begleiter, etwas betroffen von der unerwarteten Frage.
    »Er hat das Land da unten in Illinois gemacht und er hat den Missouri gemacht«, fuhr das Mädchen fort, »aber ich denke, dieses Land hier hat jemand anders gemacht. Es ist nicht gut gelungen. Sie haben nämlich das Wasser und die Bäume vergessen.«
    »Was meinst du, willst du jetzt ein Gebet sprechen?« fragte der Mann unsicher.
    »Es ist aber noch nicht Abend«, antwortete sie.
    »Das macht nichts. Es ist vielleicht noch nicht die richtige Zeit, aber das macht bestimmt nichts aus. Du kannst alle Gebete aufsagen, die du im Planwagen abends immer gebetet hast.«
    »Warum willst du nicht auch ein paar Gebete sagen?« fragte sie mit verwunderten Augen.
    »Ich hab sie alle vergessen«, antwortete er. »Ich habe kein Gebet mehr gesagt, seit ich halb so groß war wie dieses Gewehr hier. Aber es ist wohl niemals zu spät. Wenn Du Deine Gebete sagst, bete ich still mit.«
    »Dann müssen wir niederknieen«, sagte sie und breitete zu diesem Zweck den Schal auf dem Felsen aus. »Jetzt mußt du deine Hände falten, das macht, daß du dich gut und fromm fühlst.«
    Wenn außer den Bussarden jemand dagewesen wäre, hätten sie schon einen seltsamen
    Anblick geboten. Seite an Seite auf dem schmalen Schal knieten die beiden Erdenwanderer, das kleine, plaudernde Mädchen und der harte, furchtlose Abenteurer. Ihr pausbäckiges
    Kindergesicht und sein abgezehrtes, kantiges Männergesicht waren beide zum wolkenlosen Himmel gerichtet, diesem furchterregenden Wesen zu, dem sie bald gegenüberstehen würden, während die beiden Stimmen, die eine hell und klar und die andere rauh und hart, sich im Gebet und Gnade und Vergebung vereinigten. Nach dem Gebet nahmen sie ihren Platz im
    Schatten des Felsens wieder ein. Das Kind schmiegte sich an die breite Brust seines
    Beschützers und schlief bald ein. Eine Zeitlang bewachte er ihren Schlaf, aber schließlich überwältigte ihn das eigene Schlafbedürfnis. Drei Tage und Nächte hatte er sich weder Rast noch Ruhe gegönnt. Langsam fielen die Lider über die müden Augen und der Kopf sank tiefer und tiefer auf die Brust, bis sich der graue Bart des Mannes mit den blonden Locken des Kindes vermischte. Beide schliefen einen tiefen, traumlosen Schlaf.
    Wenn der Wanderer noch eine halbe Stunde länger wachgeblieben wäre, hätte sich ihm ein seltsamer Anblick geboten. In weiter Ferne, am äußersten Ende der Salzwüste, wurde eine winzige Staubwolke sichtbar. Am Anfang war sie kaum zu unterscheiden von dem dunstigen Horizont. Aber langsam wuchs sie in die Höhe und Breite, bis sich eine solide Staubwolke geformt hatte. Und diese Wolke wuchs und wuchs, bis schließlich klar wurde, daß sie durch eine riesige Menge wandernder Füße aufgewirbelt sein konnte. Wäre die Gegend fruchtbarer gewesen, hätte der Beobachter wohl glauben können, eine große Herde Bisons, wie sie in der Prärie grast, käme auf ihn zu. Aber das war in dieser toten Wildnis natürlich unmöglich. Die wirbelnde Staubwolke rückte näher und näher zu dem Platz, wo die beiden Ausgesetzten
    schliefen. Schon konnte man durch den Staub hindurch die mit Planen bedeckten Wagen und die Gestalten bewaffneter Reiter erkennen. Die Erscheinung entpuppte sich als eine riesige Karawane auf ihrem Weg in den Westen. Aber was war das für eine Karawane! Als die Spitze schon den Fuß des Berges erreicht hatte, war ihr Ende am Horizont noch kaum erkennbar.
    Quer über die schier unendliche Wüste erstreckte sich der Zug — Wagen, Karren, Männer auf Pferderücken und Männer zu Fuß, unzählige Frauen, die sich unter der Last ihrer Bürde
    dahinschleppten und Kinder, die neben den Wagen herliefen oder unter den weißen
    Wagenplanen hervorlugten. Dies war offenbar kein normaler Einwandererzug, sondern ein
    ganzes Nomadenvolk, das durch schwierige Umstände gezwungen

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