Sherlock Holmes und das Druidengrab
... Herbert, ich hätte gern noch ein Glas Whisky ... vielen Dank.“ Holmes deutete eine Verbeugung an und trank. „An dieser Stelle möchte ich unterbrechen und die Geschichte an einer anderen Stelle fortführen. Ich denke an Ihre Nachbarn Lord und Lady Wilsbury. Lady Esther und Countess Helen liebten den Reitsport; Earl Robert und Lord Henry wurden an der Front zu Freunden. Erinnern Sie sich an jene Tage, als die Männer vom Feld zurückkamen? Müde, abgekämpft? Robert Earl of Carnington erfuhr, dass seine geliebte Elizabeth zur Kindsmörderin geworden war; sein Nachbar Wilsbury dagegen hatte Zwillinge in der Wiege. So ungerecht kann das Schicksal sein, nicht wahr? Erinnert sich jemand im Raum an die Anzeige der Amme von Lady Wilsbury? Nein? Nun, mein verehrter Freund Watson kann da etwas nachhelfen.“
Watson erhob sich, seine Wangen glühten. Er verlas den Passus aus einem Vernehmungsprotokoll, in dem die Amme Hazel Miller ausgesagt hatte, sie habe zunächst nur einen Knaben versorgen sollen, dann auf einmal zwei. Die Mutter hätte ausgesagt, es seien Zwillinge, dabei war das eine Kind mindestens einen Monat älter als das, was sie bereits versorgte.
„Eine großzügige Summe veranlasste Mrs Miller, ihre Aussage zurückzuziehen. Sehen Sie, worauf ich hinaus will?“ Mit Genugtuung ließ Holmes seinen Blick schweifen. Er nahm einen Schluck, dann erzählte er weiter. „Nehmen wir an, da ist ein Säugling. Sie wären ihm so gern eine Mutter, aber das geht nicht. Und da ist Ihre Freundin. Sie kommt wenige Wochen später nieder. Der Mann ist an der Front, die Entbindung findet keine große Beachtung in jenen Tagen. Sie erzählen die Geschichte von einem Findelkind, das Sie vor dem Waisenhaus bewahren wollen. Sie versprechen der Freundin, immer für das Kind da zu sein. Und das Unglaubliche geschieht ... sie nimmt es an. Aus einem Kind werden Zwillinge. Die Amme, die den Altersunterschied bemerkt, wird mit ein paar Pfund zum Schweigen gebracht und der Zwilling wächst geborgen und wohl behütet auf. Wie seine drei Geschwister. Nehmen wir an, die Freundinnen treffen sich weiterhin, all die Jahre, reiten aus, reden. Und dann passiert etwas, womit Sie, verehrte Countess, nicht gerechnet hatten, Ihre Freundin bekommt Gewissensbisse. Sie will ihrem Mann alles beichten ... ist es da nicht salopp gesagt praktisch, dass sie einen Reitunfall erlitt? Und Sie, Countess, waren die einzige Person, die dabei war? Sie wissen, denke ich, was das bedeutet. Dennoch möchte ich Ihren Verdienst an den Kindern nicht schmälern; bis zur Neuvermählung von Lord Wilsbury gingen die vier Kleinen hier ein und aus, oder? War es nicht so, Madame?“
Wieder trafen sich die Blicke von Holmes und Watson.
„Nun fragen Sie sich bestimmt, was das alles mit der Weißen Frau zu tun hat. Wissen Sie ... den ersten wichtigen Hinweis erhielt ich in dem Mausoleum. Da waren Zweige von Kirschlorbeer vor der Grabplatte des unglücklich zu Tode gekommenen Kindes abgelegt, wie im Gedenken. Zunächst hatte ich die Überlegung, die Countess hätte sie dort hingelegt, sie, die so gern Mutter gewesen wäre und um ihren kleinen Neffen trauerte. Ein paar Tage später jedoch sah ich, dass sie aufgebracht aus dem kleinen Tempel stürmte, eine Lilie in der Hand. Sie warf diese fort. Zur selben Zeit stand ein üppiges Bouquet von Lilien in der Halle. Wenn es also nicht die Countess war, wer sonst hatte Zugang zu den Blumen und ein Bedürfnis – ich spreche nicht von Gelegenheit –, wer hatte Sehnsucht danach, auf diese Weise dem Kind nahe zu sein?“ Holmes nickte Watson zu und ging einige Schritte auf und ab. „Ein weiterer wichtiger Hinweis war der Ort des Verbrechens, Plymouth. Das, was mir mein verehrter Watson nach seinen ersten Untersuchungen dort berichtete, trug dazu bei, den Nebelschleier über den Ereignissen ein wenig zu lüften. Erzählen Sie uns, lieber Freund, bitte.“
Alle Augenpaare richteten sich nun auf den Doktor. Dieser erhob sich von seinem Platz, verbeugte sich in die Runde und begann zu berichten.
„Während meines ersten Aufenthalts in Plymouth sprach ich mit dem Erben des örtlichen Zeitungsverlegers. Er bestätigte unsere Vermutung, dass der Vater der Countess Elizabeth ein kleines Vermögen ausgegeben hatte, um den Fall nicht mehr publik werden zu lassen als nötig. Er verbrauchte dafür alle seine Reserven und konnte Worsley Manor nicht mehr finanzieren. Insofern ist anzunehmen, dass der gemeinsame Umzug der Familie zum Earl of
Weitere Kostenlose Bücher