Sherlock Holmes und das Druidengrab
unsere Tür. „Dr. Watson?“
„Herein!“, rief ich. Holmes war ja nicht gemeint gewesen.
„Was gibt es, Catherine?“
„Einer meiner Mieter braucht ärztliche Hilfe. Er hatte … einen Unfall.“
„Doch nicht etwa der nette Buchhändler, Mr Nezvadba?“
„Nein, Darragh. Darragh Mac Conmara“, antwortete sie. „Er hat seit einiger Zeit eine Mansarde bei mir gemietet. Hier entlang, meine Herren!“
Ich griff meine Arzttasche, ohne die ich nie verreise, und folgte Catherine erst die Treppen, dann eine dunkle knarzende Stiege hinauf. Holmes schloss sich uns an.
„Er ist Geistlicher“, bemerkte sie unterwegs beiläufig.
Auf dem Dachboden klopfte sie an eine Tür. Ein Ächzen war die Antwort.
Catherine ließ uns in eine spartanisch möblierte Gesindekammer mit schrägen Wänden eintreten, die von einer Petroleumlampe auf dem Nachttisch spärlich erleuchtet wurde. Am Bett lehnte ein Krückstock, auf dem Boden davor lag ein Hut mit hochgerollter Krempe. Ich kannte diese Art Kopfbedeckung. Jesuiten tragen sie!
Mit einem Mal fühlte ich mich wieder in die drei langen Schreckensjahre im Internat zurückversetzt mit den endlosen Exerzitien, Andachten und Gebetsstunden und dem stundenlangen Knien in endlosen, todlangweiligen Gottesdiensten. Unsere Lehrer, diese dreimal verfluchten Pfaffen, fanden immer irgendetwas, um uns mit Bußübungen zu kujonieren oder lieber gleich eigenhändig zu verprügeln. Et omnia Ad Maiorem Dei Gloriam . Alles zur höheren Ehre des Herrn. Kaum hatte ich die Volljährigkeit erreicht, da sagte ich mich auch schon von diesem Wahn los. Ich habe es bis heute nie bereut!
Auf dem Bett stöhnte, halb liegend, halb sitzend, in einem schmutzigen schwarzen Mantel ein schwerer weißhaariger Mann. Er hatte Figur, Nase und Ohren eines Boxers, sah aber aus, als wäre er gerade Albert Oldman vor die Fäuste geraten, der sich 1908 in London den Olympiasieg erboxt hatte.
Gut so, dachte ich wohlgefällig, jemand hat es ihm einmal so richtig heimgezahlt!
Aus einem um die rechte Hand geschlungenen schmutzigen Taschentuch ragten blutig verschrammte Fingerspitzen, und aus einem von Hämatomen, Schwellungen, Abschürfungen und zwei Beiersdorf-Wundpflastern entstellten Gesicht blickten uns zwei blässliche Augen an. Beim Versuch, sich zu erheben, warf er seinen klobigen Krückstock um.
Holmes bückte sich rasch, hob ihn auf und gab ihn zurück.
Wortlos riss der Mann den Stock an sich. Seine Bewegungen zeigten, dass er Schmerzen litt. Catherine machte uns bekannt.
„Dr. Watson und Mr Holmes, Darragh Mac Conmara.“
„Doktor der Theologie“, setzte der Verletzte hinzu.
„Societas Jesu“, ergänzte Holmes. „Ein Ire, dem Namen nach.“
„Warten Sie ruhig draußen, Mr Holmes, bis der Doktor fertig ist.“
„Darragh!“, protestierte Catherine.
Warum spricht sie ihn mit dem Vornamen an? , fragte ich mich. Dann wurde es mir klar! Er war Catherines heimlicher Geliebter!
Holmes ließ sich nichts gefallen. „Wer bedroht Sie, Pater?“
„Keiner! Ich sehe sicherlich etwas … mitgenommen aus, aber …“
„Ihr Stock, Pater, ist aus massivem Eichenholz. Auf seiner Spitze steckt eine Eisenhülse, und über die gesamte Länge ist eine Eisenschiene mit Wellenschliff eingelassen. Eine fürchterliche Waffe.“
„Sicherlich zur Verteidigung des wahren Glaubens“, merkte ich sarkastisch an.
„Ich brauche lediglich ärztliche Hilfe. Es hat mir … ich habe mir die Rippen gebrochen.“
„Heißes Wasser, Catherine“, bat ich, „und Sie, Holmes, helfen mir, ihn freizumachen.“
Zu dritt zogen wir Mac Conmara den Mantel aus. Als Catherine das Wasser brachte, gab ich ihr das Kleidungsstück.
„Vielleicht können Sie es ausbürsten!“
Widerstrebend verließ sie mit dem Mantel über dem Arm die Kammer.
„Einen Moment, Mrs Vrchlicková!“ Was Holmes Catherine durch den Türspalt zuflüsterte verstand ich nicht. Ich hörte nur ihre Antwort. „Natürlich, Mr Holmes!“
„Holmes“, rief ich ungeduldig.
„Sofort, Watson!“ Holmes half mir, Mac Conmara das Jackett mit dem Jesuitenkreuz am Revers auszuziehen, das Hemd und das Unterhemd. Die Rippen erwiesen sich nur als angebrochen, Knochensplitter ertastete ich keine. Mac Conmara zuckte bei der Untersuchung und der Desinfektion der Wunden nur ein oder zwei Mal kurz auf, ohne einen Laut von sich zu geben.
Holmes besah sich die benutzten Tupfer. „Ihre Wunden sind voller Sand, Pater. Was ist Ihnen wirklich
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