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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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in immerwährender Dunkelheit begraben war, ein besonders scharfes Gehör hatte.
    Zunächst weigerte sie sich, mich zu sehen. Das junge Dienstmädchen brachte mir die Nachricht, daß beide Damen indisponiert seien. Ich fürchte, ich war sehr schroff zu ihr und verschaffte mir (wieder einmal) mit der Androhung von Gewalt Eintritt in ein Haus. Ich blieb kurz am Schlafzimmer von Mutter Valerius stehen, die mich inständig bat, nicht weiterzugehen.
    »Zwei Tage! Ich habe sie noch nie so gesehen, Monsieur. Sie ist krank, zu krank, um Sie zu empfangen!« Während sie sprach, zitterte das Spitzenhäubchen auf ihrem Kopf.
    »Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl, als darauf zu bestehen, Madame. Ich habe gehört, daß es Christine nicht gut geht, aber wenn sie wieder gesund werden will, muß sie mir stillschweigend vertrauen.«
    Auf ihren Gesichtszügen malte sich Überraschung ab.
    »Sind Sie Arzt?«
    »In diesem Fall weiß ich lediglich, wie sie zu heilen ist, Madame.« Ich küßte ihre Hand und zog mich zurück, bevor sie mir irgendwelche Ausweispapiere oder ähnliches abverlangen konnte. Schließlich fand ich Christine auf ihrem eigenen schmalen Bett liegend. Sie trug dasselbe dunkelblaue Gewand, das ich schon zuvor an ihr bewundert hatte, und sie lag mit ungekämmtem und unfrisiertem Haar, das ihr wirr um die Schultern fiel, auf dem Rücken. Einen Arm hatte sie über ihr Gesicht gelegt, und ihr ganzer Körper zitterte unter ihrem schrecklichen Schluchzen.
    »Christine.«
    »Gehen Sie weg!«
    »Nicht ohne Sie.«
    Jetzt erkannte sie meine Stimme und zog ihren Arm für einen Augenblick zurück, um mich mit einem tränenüberströmten Gesicht anzusehen, das sie sogleich wieder vor mir verbarg, diesmal in den Tiefen eines Kissens.
    »Gehen Sie weg«, wiederholte sie mit erstickter Stimme.
    »Das würde mir Mademoiselle Irene Adler niemals verzeihen.« Aber nicht einmal die Erwähnung ihrer Freundin, der sie so sehr vertraute, konnte ihre Verzweiflung durchbrechen.
    »Ich bin verloren.«
    »Das sind Sie wirklich – es sei denn, Sie folgen buchstabengetreu meinen Anweisungen.«
    »Es hat keinen Sinn!«
    » Tun Sie, was ich Ihnen sage. «
    Etwas in meiner Stimme riß sie plötzlich aus ihrer Lethargie. Sie stützte sich mit einem trotzigen Gesichtsausdruck auf ihren Ellbogen und warf ihre zerzausten Locken zurück.
    »Er hat nichts Böses getan! Es war ein Unfall!«
    »Warum weinen Sie dann? Außerdem«, fuhr ich fort, bevor sie antworten konnte, »wissen Sie ganz genau, daß es kein Unfall war. Haben Sie mir nicht selbst von Nobodys Versprechen erzählt, daß Ihr Gesang wie eine Bombe im Publikum einschlagen würde?«
    Ihr Gesicht verzog sich, und es sah so aus, als würde sie wieder zusammenbrechen. Ich griff nach ihren Armen und schüttelte sie rauh.
    »Ziehen Sie sich an. Ich brauche Sie.«
    »Wohin gehen wir?« fragte sie, während ich ihr in den Brougham half, der draußen vor der Tür wartete.
    »So weit weg vom Erdboden, wie es nur möglich ist.«
    Bei diesen Worten weiteten sich ihre Augen, aber während der ganzen Fahrt sagte sie nichts mehr. Sie warf kaum einen Blick aus dem Fenster, kümmerte sich kaum um das an ihr vorbeiziehende Spektakel einer Stadt, die ihren alltäglichen Geschäften nachging. Wenn sie jedoch einmal hinaussah, dann mit dem verblüfften Blick eines Menschen, der nur wenig von dem mitbekam, was Sie und ich das alltägliche Leben nennen würden, Watson. So sehr war sie sein Geschöpf, daß ihre Lebenserfahrungen so eingeschränkt waren, wie er es haben wollte. Ihr kleines Zimmer, ihre Studien, ihre Gebete, ihre Fahrten zur Opéra und wieder nach Hause, ihre sorgfältig ausgewählten Aufführungen – das und nur das allein stellte die kleine Welt dar, in die er ihr zartes Gemüt hineingedrängt hatte. Ihr Dasein war beinahe die Parodie auf das behütete Leben eines Wunderkindes. Es war jedenfalls ein bizarres Spiegelbild seines eigenen Lebens. Sie waren beide gefangen in Welten hinter Mauern – seine Mauern waren äußerlich, während ihre lediglich in den Grenzen ihres zarten Gemüts existierten.
    Als der Brougham anhielt und ich ihr hinaushalf, blickte sie ängstlich und totenbleich zu mir auf.
    »Wo sind wir hier?«
    Weiße Wolken jagten über einen azurblauen Himmel und an der weit entfernten Turmspitze vorbei.
    »Das werden Sie doch sicher wissen. Sie haben ihn oft genug gesehen. Man kann ihn in ganz Paris sehen. Kommen Sie mit«, sagte ich, griff sanft, aber entschlossen nach ihrem

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