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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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nach unten gehen mußte. Hinunter! Sei wie ein Wassertropfen! Im Zweifelsfalle hinuntergehen! Ich hatte nur einen Hinweis, und das waren die brennenden Kerzenstummel, die an verschiedenen strategischen Punkten steckten, einige noch immer brennend, andere warm – der Flüchtling mußte sie auf seinem Weg benutzt haben. Als ich nach den Kerzen tastete, fand ich gewaltige Ablagerungen von festgewordenem Wachs. Der Mann hatte jahrelang Zeit gehabt, um sein riesiges Versteck zu schaffen, und viele Kerzen hatten sich vor denen, die ich nun dort stehen sah, bereits flackernd verzehrt.
    Ich beschlagnahmte einen dieser Kerzenstummel für meine eigenen Zwecke und tastete mich mit Hilfe seiner mageren Flamme voran, wobei das heiße Wachs meine Finger verbrannte und auf ihnen erstarrte, denn ich hatte nichts, womit ich das hätte verhindern können.
    Ich hörte Geräusche, mysteriöse Echos, das Tropfen von Wasser und merkwürdige, weit entfernte Schritte, entweder über oder hinter mir, das konnte ich nicht mehr sagen. Mein Weg führte mich häufig über Gerüste und Stege, die sich mitten durch eine gewaltige Düsternis erstreckten. Manchmal gab es eine Art Geländer, an dem ich mich festhalten konnte; manchmal hatte ich nichts dergleichen zur Verfügung; und um die Dinge noch schlimmer zu machen, schwankte der Boden unter mir.
    In der Ferne sah ich ein paar sich bewegender Lichter und glaubte, Stimmen zu hören. Vorsichtig schlich ich mich weiter, wobei mir nun jedes einzelne Quietschen der Holzplanken unter meinen Füßen schmerzlich bewußt wurde. Hinter einigen hölzernen Latten erblickte ich die Kalliope, das gewaltige Gaswerk, das die Beleuchtung im Palais Garnier beherrschte. Dies war also ein weiterer Übertritt zwischen dem, was ich mittlerweile als die wirkliche Welt bezeichnete, und diesem ihrem verderbten Abbild.
    Die Polizei war nur einige Zoll von mir entfernt bei der Arbeit, verwirrt von den drei Leichen, die sie gerade gefunden hatten – die armen Seelen, die die Schalter und Hebel der Beleuchtungstafel bedient hatten und von dem Wahnsinnigen in den Himmel befördert worden waren.
    »Jemand hat ihnen die Kehle durchgeschnitten«, sagte eine Stimme, in der ich Mifroid wiedererkannte.
    »Diesem hier hat man den Schädel eingeschlagen«, sagte ein anderer.
    »Das ist Mauclair!« rief ein Dritter aus, den ich als Jérôme identifizierte. Die drei zertrampelten jeden eventuell vorhandenen Hinweis. Ich schüttelte den Kopf und zog mich so vorsichtig, wie ich gekommen war, wieder zurück.
    Hinunter und hinunter. Manchmal kam ich vom Weg ab und landete dann in seltsamen culs de sac , von denen ich jedoch glaubte, daß sie zu weiteren verborgenen Passagen führten, die zu entdecken ich weder die Zeit noch die Begabung hatte. In diesen Fällen mußte ich meinen Weg wieder zurückgehen, wobei ich über verschiedene Dinge stolperte, die Zeugnis von der geistesgestörten Natur ihres Besitzers ablegten. Mein magerer Wachsstummel verbrannte zu nichts, und wieder war ich eingehüllt in tiefe Dunkelheit.
    Einmal hielt ich den Atem an, als eine Schar von Ratten, die ganz mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren, auf einer schmalen Plattform an mir vorbeitrippelte. Ich spürte, wie ihre kleinen Gestalten über meine Stiefelspitzen rutschten, und es war mir kaum möglich, einen Schauder zu unterdrücken.
    Hinunter und hinunter und hinunter! Ich versuchte, mir die Ebenen zu merken, so wie ich sie zu erkennen glaubte, aber in Wahrheit ging mein Weg nur noch geringfügig nach unten, und in der Dunkelheit verlor ich schon bald meine Orientierung. Ich war nicht mehr in der Lage festzustellen, was über und was unter mir war. Die Wände selbst kamen mir nicht einmal sehr senkrecht vor. Mein einziger Kompaß war die Schwerkraft.
    Ich konnte nicht umhin, über den bösen Genius nachzusinnen, der dies alles geschaffen hatte. Was für eine einzigartige Entschlossenheit und Einfallskraft hatte zuerst die eine Welt geschaffen und es dann bewerkstelligt, ihr eine zweite im Innern hinzuzufügen? Oder hatte er beide Welten gleichzeitig geschaffen? Welch dunkler Zweck, welche Inspiration oder Verzweiflung hatte das Phantom zu einer so magischen, ja ans Wunderbare grenzenden Meisterleistung der Baukunst gebracht?
    Und wieviel Zeit hatte das gekostet – oder spielte Zeit, wie ich langsam vermutete, keine Rolle für ihn, der sich freiwillig hier für den Rest seines Lebens begraben hatte?
    Während ich um mich tastete und

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