Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud
die wir ins Feuer warfen, und Holmes, der mehr Brennstoff herbeischleppte, äußerte die Annahme, daß es nicht ungefährlich sei, auf den Tender zu verzichten. Berger gab zu, daß es möglich (wenn auch nicht ratsam) sei, und so machten wir uns daran, ihn abzuhängen, was nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Holmes brachte wieder Brennmaterial, und unser Druckmesser begann zu steigen. Um das Gewicht des Tenders erleichtert und mit neuem Brennstoff versehen, begannen wir wieder aufzuholen. Holmes ging zu Berger hinüber und sprach eindringlich in sein Ohr. Der Mann fuhr erschrocken zusammen und starrte ihn an, dann resignierte er und schlug ihm auf die Schulter. Holmes kehrte zu mir zurück und verlangte den Revolver.
»Was haben Sie vor?« fragte ich und gab ihm die Waffe.
»Das, was in meinen Kräften steht«, erwiderte er, Freuds Antwort auf eine ähnliche Frage wiederholend. »Watson, alter Freund, sollten wir uns nie wiedersehen, bewahren Sie mich in guter Erinnerung.«
»Aber Holmes –«
Er ergriff meine Hand und drückte sie, daß mir die Worte vergingen, dann wandte er sich an Dr. Freud.
»Muß es sein?« fragte Freud. Er wußte so wenig wie ich, was der Detektiv vorhatte, aber es klang verhängnisvoll genug.
»Ich fürchte, es muß sein«, erwiderte Holmes. »Jedenfalls sehe ich keine andere Möglichkeit. Leben Sie wohl, Sigmund Freud, und möge Gott Sie segnen für alles, was Sie getan haben, und für den Dienst, den Sie der Menschheit erweisen; und dafür, daß Sie mein eigenes armseliges Leben gerettet haben.«
»Das tat ich aber nicht, damit Sie es jetzt aufs Spiel setzen«, protestierte Freud, und es schien mir, daß seine Augen feucht wurden, obwohl das wohl auch von der Hitze, dem Ruß oder dem Wind herrühren mochte.
Holmes konnte ihn ohnehin nicht hören, denn er war wieder unterwegs zu dem Wagen, den wir vor uns herschoben, während wir dem Zug des Barons immer näher kamen.
Wir waren so vertieft darin, Holmes Vorwärtskommen zu verfolgen, daß wir den Zug, der uns auf dem Parallelgleis entgegenkam, erst erspähten, als er uns fast erreicht hatte. Holmes, der auf seine Füße zu achten hatte, nahm ihn nicht wahr und konnte nicht unsere verzweifelten Rufe hören. Der Zug, der wenige Millimeter an ihm vorbeibrauste, erschreckte ihn so sehr, daß er seinen Halt verlor und beinahe in die Tiefe stürzte. Aber er griff schnell wieder nach und gab uns mit einem Ruck seines Kopfes zu verstehen, daß er unverletzt sei. Dann verschwand er in dem leeren Wagen.
Was sich dann abspielte, ist schwer zu beschreiben. Ich habe oft davon geträumt und auch Erinnerungen mit Freud darüber ausgetauscht, aber es geschah so schnell und inmitten solcher Konfusion, daß die Ereignisse sich in unserem Gedächtnis verwischt haben.
Berger hatte den Zug des Barons jetzt eingeholt und preßte den Wagen, den wir vor uns herschoben, in die beiden anderen. Während wir uns durch die enormen Berge wanden, paßte er sich dem Tempo des Barons an, indem er die Geschwindigkeit drosselte oder beschleunigte, je nachdem, was der andere Lokomotivführer tat.
Auf diese Weise schossen wir in einen Tunnel, und in der Dunkelheit waren Schüsse zu hören, deren Echo sogar den Maschinenlärm der beiden Züge übertönte. Im nächsten Augenblick waren wir wieder im Freien. Ich konnte die Spannung nicht mehr ertragen und beschloß, ohne Rücksicht auf mein Bein, meinem Freund zu folgen. Freud wußte, daß er mich diesmal nicht davon abbringen konnte, und wir machten uns gemeinsam auf den Weg, als der Fahrer einen Schrei ausstieß.
Jemand kletterte über das Dach des letzten Wagens am Zug des Barons. Es war ein schwarz gekleideter Mann in glänzend polierten Stiefeln, der eine Pistole in der einen und einen Säbel in der anderen Hand hielt.
»Es ist der Baron!« rief Freud.
Oh, wie wünschte ich mir in diesem Augenblick, meinen Revolver oder irgendeine andere Waffe zu haben! Wenn er Holmes umgebracht hatte und jetzt beabsichtigte, auf uns zu schießen, dann waren wir verloren. Ohne den Tender waren wir ungeschützt vor dem Mann auf dem Wagendach. Ich fürchtete in diesem Moment nicht so sehr den Tod, als vielmehr den Gedanken, zu sterben, ohne Holmes gerächt zu haben.
Aber mein Freund war am Leben! Eine zweite Figur erschien auf dem Dach am anderen Ende des Wagens. Es war Sherlock Holmes, der wie der Baron mit Revolver und Säbel bewaffnet war. Wie die Säbel in den Zug geraten waren, erfuhr ich erst später.
Während wir die
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