Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge (German Edition)
war kein haltloses Individuum, das die Sucht in Armut und Elend trieb. Er war der Herr über das weiße Pulver. Es war für ihn ein Mittel zum Zweck.
Der Moment der Helligkeit, der Erleuchtung, blieb jedoch aus, wie schon mehrmals in den letzten Monaten. Lag es an der mangelhaften Qualität des Rohstoffes oder der Toleranz, die sein Körper dagegen entwickelte? Der Detektiv war enttäuscht und entschloss sich, beim nächsten Mal die Dosis minimal zu steigern.
Er konnte lange nicht einschlafen, wie immer nach dem Gebrauch dieser Substanz. Der leichte Schlaf, aus dem er immer wieder hochschrak, konfrontierte ihn mit unangenehmen Träumen. Er war dem Gegner so nahe, dass er dessen Atem riechen, die schmalen weißen Lippen erkennen konnte, zwischen denen eine gespaltene Zunge in ständiger Bewegung war, ihre Umwelt erkundend. Holmes' Gegner war eine giftige Schlange, die sich um die nackten Füße eines Menschen wand. Aber gehörten diese ebenmäßigen Zehen tatsächlich einem Menschen? Handelte es sich nicht um eine golden schimmernde Statue, die einen Engel darstellte? Einen Engel, der in der Rechten ein Schwert hielt, dessen Spitze nach unten zeigte, auf die Schlange. Um sie zu vernichten? Holmes wusste es nicht. Das gefährliche Tier wirkte sehr lebendig. Und es war weiß wie Schnee.
Während der Detektiv auf das für ihn vorhersehbare Ergebnis der vereinten Bemühungen des Doktors und des Inspektors zur Befreiung von Watsons Frau wartete, beschäftigte er sich mit dem literarischen Werk Oscar Wildes, den Moriarty – den Worten Charles Bells zufolge – im Begriff war zu vernichten. Welchen Grund gab es, gegen einen Dichter vorzugehen? Was hatte der Mann Gefährliches geschrieben?
In einer Buchhandlung an der Paddington Station war Holmes auf einen Roman Wildes gestoßen, auf Das Bildnis des Dorian Gray , der auch eine kurze Biografie des Autors enthielt, die auf weitere Werke, in erster Linie amüsant-intelligente Bühnenstücke, aber auch Märchen, hinwies, die Wilde ursprünglich für seine Kinder verfasst hatte.
Holmes konzentrierte sich auf den vorliegenden Band, der 1891 erschienen war, auf die Geschichte eines sehr schönen jungen Mannes, der von dem Maler Basil Hallward porträtiert wurde. Der junge Mann wünschte sich, dass statt seiner selbst nur das Bildnis altern möge. Und so geschah es. Sein Abbild veränderte sich im Laufe der Zeit, geprägt auch durch die Taten und Untaten des Mannes, der Drogen nahm.
Die Beschreibung der Opiumhöhle, die Dorian Gray aufsuchte, kam dem Fielding Club ziemlich nahe, auch wenn die dunklen Seiten übertrieben dargestellt wurden, fand Holmes.
Dorian klopfte auf die verabredete Art.
Nach einer kleinen Weile hörte er Schritte im Eingangsbereich und wie eine Kette gelöst wurde. Die Tür öffnete sich leise und er trat ein, ohne ein Wort an die schäbige Gestalt zu richten, die sich diskret in den Schatten drückte, um ihm den Weg frei zu machen.
Am Ende des Ganges hing ein zerlumpter grüner Vorhang, der sich in dem Luftzug bauschte, den Dorian von der Straße mitgebracht hatte.
Er schob ihn beiseite und betrat einen niedrigen Raum, der aussah wie ein drittklassiger Tanzsalon. Grell flackernde Gaslampen, deren Licht in alten Spiegeln, die an den Wänden hingen, gedämpft und verzerrt wurde.
Am Ende des unsauberen, von Malaien und Matrosen bevölkerten Raumes befand sich ein schmales Treppenhaus, das in eine düstere Kammer führte. Als Dorian die wackeligen Stufen erklomm, schlug ihm der schwere Geruch von Opium entgegen. Er holte tief Luft, seine Nüstern bebten vor Lust.
Bei seinem Eintreten blickte ein junger Mann mit glattem blondem Haar auf und nickte ihm zögernd zu.
Auf zerschlissenen Matratzen lagen groteske Wesen in abenteuerlichen Stellungen. Die verdrehten Glieder, die halb geöffneten Münder, die starrenden glanzlosen Augen faszinierten ihn. Er wusste, in welch fremden Paradiesen sie litten und welche Höllen ihnen das Geheimnis neuer Freuden verhießen. Ihnen ging es besser als ihm. Er war in seinen trüben Gedanken gefangen.
Gedanken, die sich mit seinen gewissenlosen Taten befassten, zu denen sogar das Töten von Menschen zählte und rücksichtsloses Verhalten gegenüber Frauen. Dennoch war Dorian Gray strahlend jung und schön geblieben, bis er am Ende ...
Holmes, der weite Teile des Romans nur oberflächlich las, wurde vom Schluss des Buches wieder gefesselt.
Dorian Gray hatte Mitleid mit einem jungen Mädchen, in der Hoffnung, eine Tat
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