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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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von Sullivan mit …«
    »Und was wußten Sie über Jonathan McCarthy?« unterbrach ihn Holmes, der nur mit Mühe seine Abscheu verhehlte.
    Wilde antwortete, ohne zu zögern. »Er hielt sich eine Mätresse. Ihr Name ist Jessie Rutland, und sie spielt die Rolle der Naiven im Savoy. Für einen Mann, der mit so perfekter Heuchelei den rechtschaffenen britischen Bürger spielte, hätte eine derartige Enthüllung sofortigen Ruin bedeutet. Er sah das auch sehr schnell ein«, fügte Wilde hinzu, »und binnen kurzem stellte sich heraus, daß wir einander nichts weiter zu sagen hatten. Eine leider unerquickliche Geschichte, aber die meine.«
    Holmes starrte ihn für eine Weile ausdruckslos an. Er erhob sich abrupt, und ich folgte.
    »Haben Sie Dank für die Zeit, die Sie uns geschenkt haben, Mr. Wilde«, sagte er. »Sie sind zweifellos eine wahre Informationsquelle.«
    Der Dichter sah zu ihm auf. Sein Benehmen hatte etwas so Argloses und Liebenswürdiges, daß ich mich trotz allem, was er gesagt hatte, zu ihm hingezogen fühlte.
    »Wir sind alle, wie Gott uns gemacht hat, Mr. Holmes – und viele von uns sind schlechter.«
    »Ist das von Ihnen?« fragte ich.
    »Nein, Doktor« – er lächelte ein wenig –, »aber es wird von mir sein.« Er drehte sich wieder um und sah den Detektiv an. »Sie haben, fürchte ich, keine gute Meinung von mir.«
    »Alles in allem: nein.«
    Wilde ließ die Augen nicht von ihm. »Ich wünschte, Sie würden Ihre Meinung ändern.«
    »Vielleicht wird das eines Tages geschehen.«

KAPITEL SECHS

    Der zweite Mord

    Es dämmerte, als wir das Avondale verließen und in das nachmittägliche Gedränge von Piccadilly eintauchten. Der Wind hatte zugenommen und wehte uns schneidend um Gesicht und Hals. Droschken waren für Geld und gute Worte nicht zu bekommen, aber das Savoy-Theater war nicht weit vom Hotel. Wir schoben uns einfach in diese Richtung, bahnten uns unseren Weg durch die Menge und vermieden, so gut es ging, die schmutzigen Schneehaufen, die neben dem Rinnstein aufgehäuft waren.
    Ich ließ mich im Gehen darüber aus, daß mir nie zuvor eine so eigentümliche Gruppe von Menschen begegnet sei wie im Zusammenhang mit dem Mord an Jonathan McCarthy.
    »Das Theater ist ein eigentümliches Gewerbe«, stimmte Holmes zu. »Eine edle Kunst, aber ein elender Beruf – und einer, der alles verherrlicht, was der Rest der Gesellschaft verdammt.« Er sah mich von der Seite her an. »Verstellung. Die Fähigkeit zu heucheln und zu betrügen, etwas darzustellen, was man nicht ist. Plato hat es besser ausgedrückt. Aber all dies gehört zum Handwerkszeug des Schauspielers.«
    »Und zum Handwerkszeug derer, die die Worte für sie schreiben«, ergänzte ich.
    »Auch das werden Sie bei Plato finden.«
    Wir gingen eine Weile schweigend weiter.
    »Das Hauptproblem in diesem Fall«, stellte er schließlich fest, als wir in den Strand einbogen, »davon abgesehen, daß unser Klient es sich nicht leisten kann, seine Mahlzeiten zu bezahlen, von unseren Unkosten ganz zu schweigen – das Hauptproblem, sage ich, ist der Überfluß an Motiven. Jonathan McCarthy war kein sehr beliebter Zeitgenosse, soviel ist klar, und das kompliziert die Sache. Wenn nur die Hälfte von Wildes Geschichten der Wahrheit entspricht, dann haben wir es mit mehr als einem Dutzend Leuten zu tun, denen sehr daran gelegen wäre, McCarthy zu beseitigen. Und sie alle gehören eben jener Welt des Theaters an, in der Leidenschaften – echte und vorgetäuschte – nur so wuchern.«
    »Und dazu kommt noch«, bemerkte ich, »daß ihre beruflichen Fähigkeiten es schwieriger als gewöhnlich machen könnten, ihr Mitwirken an einem Verbrechen herauszufinden.«
    Holmes antwortete nicht, und wir schwiegen wieder für ein paar Schritte.
    »Haben Sie die Möglichkeit erwogen«, fuhr ich fort, »daß McCarthy sich Shakespeares in einem allgemeinen Sinn hätte bedienen können?«
    »Da kann ich Ihnen nicht folgen.«
    »Nun, Ihr Freund Shaw – unser Klient – kann Shakespeare nicht ausstehen. Der Morning Courant , für den McCarthy schrieb, ist bekanntlich ein Rivale der Saturday Review . Es ist kaum daran zu zweifeln, daß Bernard Shaws Leserschaft sich ohne McCarthy vergrößern und sein Stern damit ins Steigen geraten würde. Könnte es sein, daß McCarthys Hinweis auf Romeo und Julia nichts mit den Montagues und Capulets zu tun hat, aber mit den beiden Zeitungen? Sagt nicht der sterbende Mercutio, die Pest auf beide Häuser «, fuhr ich, mich

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