Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
Vom Netzwerk:
erwärmend, fort. »Gleichzeitig könnte der Gebrauch Shakespeares, den Shaw verabscheut, dazu dienen, einen klaren Fingerzeig auf ihn als den Mörder zu geben.«
    »Watson, was für ein verschlagener Mensch Sie doch sind!« Holmes blieb mit einem Augenzwinkern stehen. »Das ist absolut brillant. Brillant! Sie haben natürlich das gesamte Beweismaterial außer acht gelassen, aber Ihre Einbildungskraft ist bewundernswert.« Er setzte sich wieder in Bewegung: »Nein, ich fürchte, Ihre These ist unhaltbar. Können Sie sich unseren Shaw allen Ernstes Kognak trinkend vorstellen? Oder eine Zigarre rauchend? Oder im Begriff, seinen Rivalen – allem Anschein nach impulsiv – mit einem Brieföffner zu durchbohren?«
    »Er hat beinahe die richtige Größe«, verteidigte ich mich mit wenig Überzeugungskraft, denn ich wollte meine Theorie nicht kampflos aufgeben. »Und seine Abneigung gegen das Rauchen und Trinken könnte er sich unseretwegen zugelegt haben.«
    »Das wäre möglich«, stimmte er zu, »obwohl mir seine Vorurteile in dieser Richtung seit geraumer Zeit bekannt sind. Wie dem auch sei, warum wäre er zu mir gekommen, wenn er unentdeckt bleiben wollte?«
    »Vielleicht schmeichelt der Gedanke, Sie hinters Licht zu führen, seiner Eitelkeit.«
    Holmes dachte kurz darüber nach.
    »Nein, Watson, nein. Es ist geschickt ausgedacht, aber zu umständlich, und was mehr ins Gewicht fällt, sein Schuhwerk entspricht nicht den Fußspuren, die der Täter hinterließ. Shaws Schuhe sind sehr abgetragen – es bedrückt mich, daß er in diesem Wetter damit herumläuft –, während unser Mann neue Stiefel trug, die, wie ich schon bemerkt habe, am Strand gekauft wurden. Oscar Wilde, das muß man sagen, trug die richtigen Schuhe.«
    »Wie wäre es also mit Wilde? Haben Sie bemerkt, daß er beim Sprechen ständig seinen Mund mit einem Finger bedeckt? Und halten Sie es für überzeugend, daß er McCarthy durch seine Kenntnis über dessen illegale Affäre mattgesetzt hat, als dieser ihn zu erpressen versuchte?«
    »Zur Zeit bin ich davon weder überzeugt, noch lehne ich die Möglichkeit ab«, erwiderte Holmes unbewegt. »Deshalb gehen wir zum Savoy. Was Wildes sonderbare Angewohnheit betrifft, so ist Ihnen sicher nicht entgangen, daß er häßliche Zähne hat. Es ist nichts als seine unglaubliche Eitelkeit, die ihn dazu zwingt, beim Sprechen die Zähne zu verstecken.«
    »Haben Sie seine Zähne gesehen?«
    »Habe ich nicht gerade gesagt, daß er beträchtliche Anstrengungen macht, sie zu verbergen?«
    »Woher wissen Sie dann, daß sie häßlich sind?«
    »Elementar, mein Bester, er lächelt mit geschlossenem Mund. Hm, das Haus ist heute dunkel. Lassen Sie uns zum Bühneneingang gehen und sehen, ob jemand da ist.«
    Wir folgten dem Gäßchen, das zum Bühneneingang führte, und fanden die Tür offen. Es herrschte einige Betriebsamkeit im Theater, obwohl dem Durcheinander auf der Bühne zu entnehmen war, daß nicht gespielt wurde. Wir wanden uns durch Schauspieler und Bühnenarbeiter, bis unsere Anwesenheit vom Inspizienten wahrgenommen wurde, der sich höflich nach dem Grund unseres Daseins erkundigte. Holmes überreichte seine Karte und erklärte, daß wir auf der Suche nach Mr. Gilbert oder Sir Arthur Sullivan seien.
    »Sir Arthur ist nicht hier, und Mr. Gilbert leitet die Probe«, wurde uns gesagt. »Sie sprechen wohl am besten mit Mr. D’Oyly Carte. Er ist im Parkett. Durch diese Tür hier – und äußerste Ruhe bitte, meine Herren.«
    Wir bedankten uns und betraten das leere Auditorium. Es war erleuchtet, und ich bewunderte wieder einmal die Beleuchtungsanlagen des Savoy. Es war das erste Theater der Welt mit ganz und gar elektrischem Licht, und der Effekt war ein ganz anderer als der von Gas. Ich dachte fünfzehn Jahre zurück und versuchte, mich meines ersten Besuchs hier zu entsinnen. Damals hatte ich gefürchtet, es werde durch das Versagen des elektrischen Systems ein Feuer ausbrechen. Ein Gedanke, den ich in allen Einzelheiten aussponn, da ich nicht begriff, wer Reginald Bunthorne war, und daher aufgehört hatte, mich auf das Stück zu konzentrieren. Meine Befürchtungen waren offenbar grundlos gewesen, da das Savoy noch heute unbeschädigt war.
    Eine einsame Gestalt saß in den hinteren Reihen des Parketts und warf uns einen mißvergnügten Blick zu, als wir durch den Mittelgang auf sie zukamen. Es war ein kleiner Mann, der in seinem Sessel zwergenhaft wirkte, mit einem dunklen spitzen Bart und schwarzen Augen.

Weitere Kostenlose Bücher