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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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zur Widerlegung einer solchen Annahme berufen? Auf Miss Rutlands unschuldiges Gesicht und auf Gilberts Zeugnis, der selbst zugab, daß er sie kaum kannte. Letztere Information widerlegt sich selbst. Was die erstere betrifft«, sann er mit einem träumerischen Blick auf das Stück Papier vor ihm, »was für eine Bedeutung hat das Äußere einer Frau? Frauen, selbst die Besten unter ihnen, sind verschlagene Kreaturen und zu mehr imstande, als wir Männer wahrhaben wollen. Daß sie McCarthys Geliebte war, bin ich auf der Grundlage des vorhandenen Beweismaterials geneigt zu glauben; ihre Motive dafür bin ich bereit, kennenzulernen.«
    »Durch wen?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich denke, das wird bis zu einem gewissen Grade von Arthur Sullivan abhängen. Er hat sie eingestellt; an ihn werde ich mich wenden, um ein genaueres Porträt von ihr zu erhalten. Hallo!« Er beugte sich plötzlich nach vorn, zog sein Vergrößerungsglas und hielt es prüfend über den Fetzen.
    »Was ist?«
    »Hier ist die gestrige Eintragung, wenn ich mich nicht gewaltig irre. Schauen Sie!« Er rückte das Papier zu mir herüber und hielt mir das Glas vor die Augen. Unter der Linse vergrößert, sah ich schwache Eindrücke, die offensichtlich von einem Bleistift stammten, der sich durch das darüberliegende Papier durchgedrückt hatte.
    »Da ist etwas!« rief ich aus.
    »Das denke ich auch. Ob es allerdings von Nutzen für uns sein wird, ist eine andere Frage.« Er sah sich um, winkte einem Kellner in der Nähe und bat ihn im einen Bleistift. Nachdem der Mann ihn gebracht und sich entfernt hatte, schlug Holmes einen Zipfel des weißen Tischtuchs zurück und legte das Papier sorgfältig auf die Holzfläche. Den Bleistift in einem möglichst kleinen Winkel haltend, begann er, die Mine leicht hin und her zu reiben. Allmählich erschienen, wie in einem Geisterfoto, die Einkerbungen in klarem Relief:

    Jack Point – hier

    »Wer kann das nur sein?« fragten wir uns beide gleichzeitig.
    »Hier ist unser Orakel in solchen Fragen«, bemerkte Holmes aufschauend. »Vielleicht kann er uns helfen.«
    Shaw stand im Eingang zum Restaurant, immer noch ohne Mantel (meine Zähne klapperten bei seinem bloßen Anblick). Er streckte die Nase in die Luft, als wolle er den Ort beschnüffeln, nicht bereit, einen Fuß zu regen, bevor er seines Willkommens nicht sicher war. Holmes hob die Hand und winkte ihm. Er kam eilig auf uns zu und ließ sich ohne große Umstände auf dem Sitz nieder, während der Detektiv das Tischtuch wieder glattstrich und das Papier gewandt in sein Notizbuch gleiten ließ.
    »Was haben Sie herausbekommen?« wollte der Kritiker ohne Vorreden wissen. »Ich sterbe vor Hunger«, verkündete er, bevor einer von uns antworten konnte, und begann die Speisekarte zu studieren.
    »Erst möchten wir einen Rat von Ihnen haben«, sagte Holmes leichthin. »Kennen Sie irgend jemanden mit dem Namen Jack Point?«
    Shaw sah mit gefurchter Stirn von der Speisekarte auf.
    »Jack Point?« wiederholte er bedächtig. »Nein, ich glaube nicht. Warum?«
    »Könnte es jemand vom Theater sein? Vielleicht ein Schauspieler?« beharrte Holmes. Die erstaunten Stirnfalten des Kritikers vertieften sich.
    »Oder der Name einer anderen Gilbertschen Figur?« warf ich ein. Sein Gesicht hellte sich auf, und er schnippte mit den Fingern.
    »Natürlich! Yeomen of the Guard ! Eine andere ihrer Opern«, erklärte er, »eine ernsthafte, die im Mittelalter spielt und vom Londoner Tower handelt.«
    »Und Point? Wer ist das?«
    »Ein Narr – eine ziemlich alberne und klägliche Figur; er verliert sein Herzblatt an einen hochgeborenen Lord, wenn ich mich recht entsinne.«
    Holmes lächelte trübe. »Ah, Jack Point ist also unser Mann. Sehen Sie, Watson? Wir haben es mit jener geometrischen Figur zu tun, von der ich vor einigen Minuten sprach.«
    »Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Shaw brüsk. »Und warum sind Sie beide so bleich? Es ist Ihre Lebensweise, das glauben Sie mir nur. Mit all dem Hammelbraten, Alkohol und Tabak graben Sie sich beide ein frühes Grab. Sehen Sie mich an! Ich trage in diesem Wetter noch nicht einmal einen Mantel, und Sie sehen mich nicht schlottern wie Espenlaub.«
    »Ersparen Sie uns die Ihrer Meinung nach einzig wirksame Kur, ich bitte Sie!«
    »Dann erzählen Sie mir, was geschehen ist. Haben Sie Wilde gefunden?«
    »In bester Form.« Der Detektiv schilderte unserem gesundheitsfanatischen Klienten die Begegnung im Salon des Avondale und das einmalige

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