Sherlock Holmes und die Theatermorde
Nachspiel im Schreibzimmer. Sobald er den Marquis von Queensberry erwähnte und auf Wildes Anzeige zu sprechen kam, veränderte sich Shaws Verhalten aufs bemerkenswerteste. Er erbleichte, sprang auf die Füße und stand zitternd vor uns.
»Der Mann hat den Verstand verloren!« schrie er, zwängte sich an uns vorbei und rannte aus dem Restaurant. Holmes und ich starrten einander ungläubig und verständnislos an.
»Was bedeutet das?« fragte ich, aber Holmes zuckte nur die Achseln.
»Unsere Probleme liegen in Nr. 24 South Crescent und der Damengarderobe im Savoy-Theater – nicht im Salon des Avondale. Bis jetzt jedenfalls nicht.« Er sah auf die Uhr. »Heute abend werden wir Sir Arthur nicht mehr zu fassen bekommen, soviel ist klar.«
»Er würde es wohl auch kaum begrüßen, wenn wir ihn in einem Spiel Bakkarat mit seinen adligen Freunden unterbrechen würden«, stimmte ich zu. *
»Und ich muß sagen, daß mir nicht nach Essen zumute ist. Sollen wir gehen? Es handelt sich zweifellos um ein Drei-Pfeifen-Problem, und meine Kirschholzpfeife hat einen größeren Kopf als die Bruyère, die ich bei mir habe. Nicht, daß ich Lust zum Rauchen hätte.« Er schüttelte den Kopf und erhob sich. »Womöglich ist es Shaws Einfluß.«
»Ich glaube, ich werde noch ein paar Minuten hierbleiben«, murmelte ich.
»Mein lieber Freund, Sie sind doch nicht ernsthaft krank?« Er legte eine Hand auf meine Stirn. »Sie fühlen sich recht warm an, ich aber auch.« Er wiederholte den Versuch mit seiner eigenen Stirn. »Es scheint, wir haben uns beide eine Erkältung eingefangen.«
»Ich werde bald wieder auf den Beinen sein«, behauptete ich und dachte währenddessen, daß ich mir noch nie eine sonderbarere Erkältung zugezogen hatte. »Gehen Sie nur, ich hole sie schon ein.«
»Sind Sie ganz sicher?«
Er zögerte noch einen Moment lang, betrachtete meine Züge mit forschenden Blicken und unterzog mich einer genauen Prüfung, bevor er sich mit einem Seufzer aufrichtete. »Nun gut. Wenn ich es bedenke, scheint mir ein warmes Bett in der Baker Street auch für mich selbst das beste. Kommen Sie, so schnell Sie können.«
Ich nickte schwer, und er ging. Nachdem er fort war, saß ich für einige Zeit da und spürte, wie das Fieber von meinem Körper Besitz ergriff. Ich trank etwas mehr Wasser aus der Karaffe. Der Kellner kehrte zurück und erkundigte sich nach der Bestellung. Ich sagte ihm, daß wir uns anders besonnen hätten, und begann aufzustehen. Er sah, daß mir nicht wohl war, und fragte, ob er mir eine Droschke besorgen solle.
»Danke, ich werde laufen. Die frische Luft wird mir guttun.«
Ich kam unsicher auf meine Füße und stolperte zur Tür, wo ich entdeckte, daß es erneut zu schneien begonnen hatte. Ich machte mich, inmitten der stillen frostigen Fluten in Schweiß gebadet, auf den Weg und stellte fest, daß meine vernünftigeren Zeitgenossen die frische Nachtluft gegen ein warmes Feuer und ein gemütliches Bett eingetauscht hatten.
Und dann geschah etwas so Unerwartetes, daß ich es kaum glauben konnte. Ein Paar kräftige Arme umschlangen mich von hinten und zerrten mich aus dem Schein der Gaslampen in ein Gäßchen neben dem Restaurant. In meinem geschwächten Zustand war an einen Kampf nicht zu denken. Eine der behandschuhten Hände hielt mir nun die Nase zu, so daß ich nur durch den Mund atmen konnte, während die andere ein Gefäß voll Flüssigkeit an meine Lippen brachte und diese gewaltsam öffnete. Es war eine Frage von Trinken oder Ersticken, und ich trank notgedrungen, ein Sausen im Kopf und ein Hämmern in den Ohren, während meine Füße auf dem vereisten Pflaster wie wild unter mir wegrutschten Ich konnte weder meinen Angreifer noch die Farbe der Flüssigkeit sehen. Sie schmeckte bitter und war schwach mit Alkohol versetzt. Ich mußte das Zeug ganz austrinken, dann wurde ich losgelassen. Der Schock des Überfalls und mein Fieber machten mich hilflos. Ich versank in ohnmachtähnliche Dunkelheit und nahm nur undeutlich wahr, daß der Schnee begann, sich um mich zu häufen.
Wie lange ich in dieser Gasse lag, erfuhr ich erst sehr viel später. Zwei Polizisten auf ihrer Runde erspähten mich schließlich und gossen mir Brandy in die Kehle. Zunächst nahmen sie an, ich hätte früh am Abend zuviel getrunken, aber als ich erwachte, wies ich mich aus und teilte ihnen das Geschehene mit. Als sie merkten, daß es mir nicht möglich war, den Angreifer zu beschreiben, setzten sie mich in eine Droschke, und ich
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