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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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konnte ein einziges Niesen von tausend Menschen gehört werden.
    Das Café Royal erwies sich bei meinem Eintritt als überfüllt und, wie es mir schien, im Zustand allgemeiner Konfusion. Aufgeregte Gruppen drängten sich um die Tische, flüsterten miteinander und warfen besorgte Blicke um sich.
    »Doktor!«
    Ich hielt in der erregten Menge Ausschau und erblickte Bernard Shaw; er saß zusammen mit einem anderen Mann, dessen ungehobelte Erscheinung mir sogleich mißfiel, an einem Tisch. Dieser andere war kurz und untersetzt, mit zu eng zusammenliegenden Augen sowie einer mopsähnlichen Boxernase, und sein Kopf saß plump auf dem dicken, muskulösen Hals, der Kragen und Krawatte zu sprengen drohte.
    »Das ist Mr. Harris«, stellte der Kritiker ihn mir vor, als ich zu ihnen stieß und mich in einen Sessel fallen ließ. »Er ist einer unserer bedeutendsten Verleger. Wir sitzen hier und trauern. Alles trauert«, fügte er sardonisch hinzu und blickte in die Runde. »Und spekuliert.«
    »Worüber?« Sie blickten einander kurz an.
    »Über die Torheit Oscar Wildes«, dröhnte Mr. Harris mit einer Stimme, die am anderen Ende des Raums zu hören sein mußte. Meine Blicke drückten offenbar meine Verwirrung aus.
    »Sie entsinnen sich ohne Zweifel meines plötzlichen Abgangs bei Simpsons gestern abend, Doktor?« fragte mich Shaw.
    »Er konnte mir nicht gut entgehen.«
    Shaw brummte und rührte, den Kopf auf eine Hand gestützt, abwesend in seinem Kaffee. »Es war der Beginn einer schrecklichen Nacht. Zunächst einmal fiel mich vor dem Restaurant irgendein Verrückter an.«
    »Fiel Sie an?« Ich spürte, wie mein Blut schneller durch meine Adern rann und wie meine Haare sich im Nacken sträubten.
    »Wahrscheinlich irgendein handgreiflicher Spaß, aber er hielt mich auf, als mir an größter Eile gelegen war. Ich wollte die Verhaftung des Marquis von Queensberry verhindern. Ich kam direkt hierher – in dieselbe Nische! – und versuchte zusammen mit Frank hier, ihn davon abzubringen.«
    »Wilde?«
    Er nickte.
    »Wir lagen ihm in den Ohren«, fiel der Verleger mit Stentorstimme ein, »aber ohne Erfolg. Er saß da wie in Trance.« *
    Harris’ Akzent war nicht einzuordnen, teilweise der Lautstärke wegen, in der er sprach. Er hörte sich abwechselnd walisisch, irisch und amerikanisch an. Später hörte ich, daß seine Herkunft umstritten war.
    »Er kann nicht beweisen, daß man ihn beleidigt hat?« fragte ich.
    »Schlimmer als das«, erläuterte Shaw. »Nach dem Gesetz, – das, wie Mr. Bumble sagte, ein Esel ist – gibt er Queensberry die Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen.«
    »Der Marquis ist heute morgen verhaftet worden«, verkündete Harris mit dumpf grollender Stimme.
    Sie wandten sich mißgestimmt wieder ihrem Kaffee zu und überließen mich meinen Gedanken. Ich fragte mich, ob ich es wagen solle, zum Beginn der Unterhaltung zurückzukehren, und kam zu einem Entschluß. »Und Ihr Überfall? Ich hoffe, Sie erlitten keine Verletzungen?«
    »Ach das.« Shaw wedelte unbekümmert mit den Fingern. »Ein Scherz. Ich wurde von hinten gepackt, gezwungen, eine üble Mixtur zu schlucken, und dann wieder freigelassen. Können Sie sich einen solchen Unfug vorstellen? Mitten im Herzen Londons!« Er schüttelte bei der Erinnerung daran den Kopf, war aber mit seinen Gedanken offensichtlich woanders.
    »Haben Sie den Mann gesehen? Ich nehme an, daß es sich um einen Mann handelte?«
    »Ich sagte Ihnen doch schon, Doktor, ich habe nicht darauf geachtet! Ich wollte nur freikommen und mein Bestes tun, um Wilde vor der Selbstzerstörung zu bewahren. Das ist mir nicht gelungen«, fügte er mit einem Seufzer hinzu.
    »Steht es denn von vornherein fest, daß er den Prozeß verlieren wird?«
    »Felsenfest«, erwiderte Harris. »Oscar Wilde, das größte literarische Genie seiner Zeit« – ich nahm zur Kenntnis, daß Shaw bei diesen Worten leicht zusammenzuckte –, »und in drei Monaten«, Harris hielt drei Finger hoch, »womöglich noch früher, wird er ruiniert sein. Man wird sich nicht trauen, seinen Namen anders als abfällig zu erwähnen.« All dies intonierte er wie eine Predigt; er war offenkundig nicht in der Lage, seine Stimme zu weniger als einem Gebrüll zu senken. Aber ich spürte trotz aller Lautstärke, daß er wirklich bekümmert war.
    »Es sollte mich nicht wundern, wenn einige seiner Werke verboten würden«, bemerkte Shaw. »Womöglich alle.«
    Damals konnte ich nicht verstehen, wie ernst die Sache war. Aber drei

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