Sherlock Holmes und die Theatermorde
»Der arme Mann. Seit Jahren hat er mich angewiesen, Eigentum an der See aufzukaufen – er hat wohl die Idee gehabt, ein Hotel dort zu bauen –, aber jetzt ist alles hin, wissen Sie. Sie haben von dem Sturm gehört, der uns während der letzten vier Tage dort heimgesucht hat? Nein? Nun, ich sage Ihnen, ich habe mein ganzes Leben dort verbracht, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Plymouth beinahe von der Flut zerstört – und riesige Brocken Land einfach ins Meer gestürzt. Sie werden neue Landkarten drucken müssen, glauben Sie mir nur.« Er vergrub seine ungeheure Nase wieder im Brandy; während ich seine Mitteilungen verarbeitete.
»Und wollen Sie damit sagen, daß Mr. Holmes’ Grundstücke – alle miteinander – in den Ozean gespült worden sind?«
»Jeder Quadratzentimeter, das walte Gott, Sir. Er ist ruiniert, Doktor. Es ist diese tragische Kunde, die mich zu Ihnen führt.«
»Grundgütiger Himmel!« Ich sprang erregt auf, als mir die Katastrophe in ihrer ganzen Fürchterlichkeit klar wurde. »Ruiniert!.« Ich sank, betäubt von der Plötzlichkeit des Geschehens, in meinen Sessel zurück.
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Doktor, aber mir, scheint, Sie können selbst einen Schluck gebrauchen.«
»Da mögen Sie recht haben«, ich erhob mich auf unsicheren Beinen und schenkte einen zweiten Brandy ein, während der Mensch hinter mir zu kichern begann.
»Finden Sie das etwa belustigend?« fragte ich in strengem Ton.
»Nun, Sie müssen zugeben, daß es komisch ist. Ein Mann investiert jeden Heller, den er besitzt, in Land – die sicherste Anlage der Welt, sollte man meinen –, und dann fällt alles einfach ins Wasser. Kommen Sie, geben Sie ehrlich zu, daß es seine ulkige Seite hat.«
»Diese Seite entgeht mir ganz und gar«, erwiderte ich aufgebracht. »Und Ihre Indifferenz gegenüber dem tragischen Schicksal Ihres Klienten empfinde ich als empörend! Sie kommen hierher, trinken seinen Brandy, verbreiten sich in aller Ruhe über sein finanzielles Mißgeschick, und dann machen Sie sich auch noch darüber lustig!«
»Nun, wenn Sie es so sehen –«, der Bursche versuchte auf ungeschlachte Weise sein Bedauern zu äußern, aber ich war dafür nicht zu haben.
»Ich glaube, Sie gehen besser. Ich werde ihm die Nachricht selbst übermitteln – und in der Form, die ich für richtig halte.«
»Ganz wie Sie wünschen«, erwiderte er und überreichte mir sein Glas. »Aber ich muß sagen, daß Sie eine sehr engherzige Einstellung haben. Versuchen Sie, die humoristische Seite des Ganzen zu sehen.«
»Das genügt, Mr. Jackson.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und stellte das Glas zurück auf die Anrichte.
»Ganz recht, Watson«, sagte eine vertraute Stimme hinter mir. »Ich glaube, es ist Zeit für unseren Tee.«
KAPITEL ELF
Theorien und Anschuldigungen
»Holmes!«
Ich fuhr herum und erblickte den Detektiv dort, wo vorher der Makler gesessen hatte. Er war dabei, sich der unförmigen Nase und der weißen Haare zu entledigen.
»Holmes, das ist ungeheuerlich!«
»Ich gebe es zu«, ließ er sich vernehmen, während er die Watte ausspie, die sein Gesicht aufgeschwemmt hatte. »Es war ein kindischer Streich. Aber die Verkleidung schien mir so gelungen, daß ich sie an jemandem ausprobieren wollte, der mich wirklich gut kennt. Mir fiel niemand ein, der diese Bedingung so gut erfüllte wie Sie, mein lieber Freund.«
Er stand auf und zog seinen Mantel aus, unter dem endlose Polster zum Vorschein kamen. Ich ließ mich erschüttert nieder und sah ihm zu, während er sein Kostüm ablegte und sich in seinen Morgenrock hüllte.
»Heiß war es«, bemerkte er mit einem Lächeln, »aber sehr nützlich. Trotzdem sind leider immer noch ein paar lose Enden übrig, die meine neuesten Informationen nicht entwirren können. Lassen Sie uns auf jeden Fall den Tee bestellen.«
Er klingelte, und Mrs. Hudson, die alsbald mit dem Tablett erschien, war sehr verblüfft, Sherlock Holmes zu Hause zu finden. »Ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören.«
»Sie haben mich selbst eingelassen, Mrs. Hudson.«
Ihr Kommentar dazu ist hier nicht von Interesse. Sie ging wieder, und Holmes und ich rückten unsere Sessel zurecht.
»Ihre Augen!« rief ich plötzlich, den Kessel in der Hand. »Sie sind braun!«
»Wie? Oh, einen Moment.« Er beugte sich in seinem Sitz nach vorne, den Blick auf den Boden gerichtet, zog die Haut an seiner rechten Schläfe zurück, und während er die andere Hand unter dem rechten Auge
Weitere Kostenlose Bücher