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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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Nachmittag über entwickelt habe!« rief ich und sprang auf. »Möchten Sie sie hören?«
    »Selbstverständlich. Sie wissen, daß Ihre Gedankengänge mich immer faszinieren.« Er ließ sich in meinem Sessel nieder.
    »Gut. Jessie Rutland lernt Bram Stoker kennen. Er enthüllt ihr weder seinen Namen noch seine Identität, sondern gibt statt dessen vor, kürzlich – unter Hinterlassung einer invaliden Ehefrau – aus Indien zurückgekehrt zu sein. Er raucht sogar indische Zigarren, um diese Behauptung glaubwürdiger zu machen. Er mietet der Affäre wegen ein Zimmer in Soho, aber Jonathan McCarthy, sein alter Rivale (der regelmäßig das Savoy besucht), kommt ihm auf irgendeine Weise auf die Schliche und droht dem Mädchen mit Bloßstellung, sollte sie ihm nicht zu Willen sein. Vor Angst um sich selbst und ihren Liebhaber gibt sie nach. Stoker erfährt von ihrem Opfer und setzt sich mit McCarthy in Verbindung, der geneigt ist, ein neues Spiel zu spielen und Geld zu fordern. Sie vereinbaren eine Zusammenkunft, um den Preis für sein Schweigen auszuhandeln. Ihr Gespräch – das ganz gemütlich bei Kognak und Zigarren begonnen hat – entwickelt sich zu einem heftigen Streit, und Stoker bekommt den Brieföffner zu fassen und stößt zu. Er war durchaus dazu imstande«, fügte ich aufgeregt hinzu, während mehr und mehr Teile des Puzzles sich zusammenfanden, »denn er war nicht nur athletischer Meister der Universität Dublin, sondern ist auch ein Bruder des bekannten Arztes William Stoker, der ihm sehr wohl elementare, aber ausreichende Kenntnisse der Anatomie beigebracht haben kann. Wie Sie selbst bereits festgestellt haben, hat er die richtige Größe und trägt die passenden Schuhe.«
    »Glänzend, Watson. Glänzend«, murmelte mein Freund und gab seiner Pfeife mit einem Stück Kohle aus dem Kamin neues Feuer. »Und dann?«
    »Er macht sich davon. Aber McCarthy ist noch am Leben und schleppt sich zum Bücherregal. Der Band Shakespeare in seiner Hand sollte auf das Lyzeum hinweisen, das auf den Barden spezialisiert ist. Irving bereitet gerade jetzt eine Macbeth-Aufführung vor. In der Zwischenzeit steigert sich Stoker in eine Panik. Ihm ist klar, daß Miss Rutland bei der Nachricht von McCarthys Tod – die ihr unabwendbar zu Ohren kommen wird – keinen Zweifel daran haben kann, wer der Mörder ist. Der Gedanke, daß eine andere Person von seinem Geheimnis weiß, nagt an ihm wie ein böses Geschwür. Was, wenn die Polizei sie verhören sollte? Würde sie standhaft bleiben? Er beschließt, daß es nur eine Lösung gibt. Das Savoy ist vom Lyzeum nicht weit entfernt. Er schleicht sich hinter die Bühne und verläßt das Theater durch das ›Beefsteak-Club‹-Zimmer, dann hastet er ins Savoy, wo er das zweite Verbrechen während der Probe zum Großherzog verübt, von der er weiß, daß sie im Gange ist. Dann macht er sich in aller Eile wieder auf den Weg ins Lyzeum, und niemand hat etwas gemerkt. Da haben Sie es! Was halten Sie davon?«
    Für eine Weile gab er mir keine Antwort, sondern saß mit geschlossenen Augen und sog an seiner Bruyère. Wäre der Rauch nicht gewesen, hätte ich ihn nicht für wach gehalten. Schließlich öffnete er die Augen und nahm die Pfeife aus dem Mund.
    »Das ist soweit ganz vorzüglich. Wirklich, Watson, mein Kompliment. Ich bewundere vor allem die Art, in der Sie von dem Band Romeo und Julia Gebrauch machen. Warum hat McCarthy dann nicht nach Macbeth gegriffen, wenn er, wie Sie sagen, auf das Lyzeum anspielen wollte?«
    »Vielleicht konnte er nicht mehr richtig sehen«, schlug ich vor.
    Holmes lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, er konnte gut genug sehen, um eine bestimmte Seite aufzuschlagen. Das ist nur ein Argument gegen Ihre Theorie, obwohl ich zugebe, daß sie recht hübsche Details enthält. Sie scheint vieles zu erklären, das gestehe ich Ihnen zu, aber in Wirklichkeit erklärt sie nichts.«
    »Nichts?«
    »Nun, so gut wie nichts«, verbesserte er sich, wobei er sich zu mir herüberneigte und mir tröstend aufs Knie klopfte. »Sie müssen es mir nicht übelnehmen, alter Freund. Ich schwöre Ihnen, ich habe überhaupt keine Theorie. Oder jedenfalls keine, die Ihre Lücken füllen würde.«
    »Ich wüßte gern, was das für Lücken sind.«
    »Nehmen wir sie eine nach der anderen. Zunächst einmal, wie konnte Jessie Rutland Bram Stoker kennenlernen – ohne daß auch nur eine Person, die wir befragt haben, es wußte? Männerbekanntschaften sind im Savoy, wie Sie

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