Sherlock Holmes und die Theatermorde
Freundes. Holmes hatte recht, als er die Flüssigkeit, die man uns aufgezwungen hatte, als Schlüssel zu der Affäre bezeichnete. Aber so sehr ich mich bemühte, ich konnte mich kaum an ihren Geschmack erinnern, und meine Unfähigkeit, mir – von den Handschuhen einmal abgesehen – das Äußere des aufdringlichen Mundschenks ins Gedächtnis zu rufen, brachte mich zur Verzweiflung.
Holmes war dabei, eine vierte Pfeife zu stopfen – die besonders abscheuliche Tonpfeife –, als sein Ritual und meine Ungeduld gleichzeitig von einem Klopfen an der Tür und dem Eintreten des sehr selbstsicher dreinblickenden Inspectors Lestrade beendet wurde.
»Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Mörder gefangen, Mr. Holmes?« erkundigte er sich schadenfroh, während er den Mantel auszog. Der Mann war so taktvoll wie ein Elefant.
»Nicht in letzter Zeit.« Der Detektiv blickte gelassen von seinem pilzartigen Kissenhügel auf.
»Aber ich«, krähte der kleine Mann.
»Tatsächlich? Jonathan McCarthys Mörder?«
»Und Jessie Rutlands. Sie wußten wohl nicht, daß die beiden Verbrechen miteinander zu tun haben? Nun, das ist ganz zweifellos der Fall. Miss Rutland war die Mätresse des Kritikers, und sie starben beide von derselben Hand.«
»Tatsächlich?« wiederholte Holmes erblassend. Ich wußte, es würde ihn empfindlich treffen, sollte es diesem Einfaltspinsel gelingen, die beiden Morde vor ihm aufzuklären. Seine Eitelkeit und seine Berufsehre standen auf dem Spiel. Es hätte seiner ganzen Auffassung von Detektivarbeit widersprochen, wenn die willkürlichen und ungeschickten Methoden von Scotland Yard sich als den seinen überlegen erwiesen hätten.
»Tatsächlich?« echote er ein drittes Mal. »Und haben Sie herausgefunden, warum der Mörder indische Zigarren raucht?«
»Indische Zigarren?« Lestrade lachte dröhnend. »Sie machen sich immer noch Gedanken darüber? Nun, wenn Sie es wissen wollen, dann kann ich es Ihnen erklären. Er rauchte sie, weil er Inder ist.«
»Was?« riefen wir gemeinsam aus.
»So ist es, ein Parse. Er heißt Achmet Singh, und er lebt seit etwas weniger als einem Jahr in England. Er hat, zusammen mit seiner Mutter, einen Gebrauchtmöbel- * und Raritätenladen in der Tottenham Court Road.« Lestrade wanderte kichernd und händereibend im Zimmer umher, unfähig, seine Selbstzufriedenheit und Schadenfreude zu zügeln.
Sofern Sherlock Holmes von den Neuigkeiten des Polizisten verstimmt war, tat er sein Bestes, es sich nicht anmerken zu lassen. »Wo hat er Miss Rutland kennengelernt?«
»Sein Laden ist ganz in der Nähe von ihrer Wohnung. Die Hauswirtin identifizierte ihn und sagte mir, daß er sie aufzusuchen und mit ihr spazierenzugehen pflegte. Die Frau war so entsetzt über die Beziehungen ihrer Mieterin mit einem braunen Teufel, daß sie es Ihnen gegenüber verschwieg.« Er lachte wieder. »Zum mindesten vermute ich, daß Sie es waren, mit dem sie vor mir gesprochen hatte.« Er mimte mit seinen Händen einen umfangreichen Bauch und lachte erneut. »Es hat seine Vorteile, Polizeibeamter zu sein, Mr. Holmes.«
»Darf ich fragen, wieso er Tabak hatte, obwohl er Parse ist?«
»Sie können mich auch gleich fragen, was er hier in England macht! Wenn er gekommen ist, um unter Weißen zu leben, mag er sich wohl einige unserer Gewohnheiten angeeignet haben. Ja, der Bursche besuchte sogar die Abendschule an der Londoner Universität.«
»Ah! Ein sicheres Zeichen für kriminelle Veranlagung.«
»Sie können ruhig spotten«, erwiderte der Inspektor ungerührt. »Die Sache ist –«, er bohrte seinen Zeigefinger mit Nachdruck in die Brust des Detektivs –, »die Sache ist, daß der Mann für die Mordzeiten kein Alibi hat. Und er hat ein Motiv«, schloß er triumphierend.
»Ein Motiv?« forschte ich.
»Eifersucht! Primitive Leidenschaft! Das können Sie sich doch denken, Doktor. Sie ließ ihn fallen und befreundete sich mit dem Zeitungsmenschen –«.
»Der ihn in sein Haus einlud, wo sich der Parse an Kognak labte«, ergänzte Holmes in mildem Ton.
»Wer weiß, ob er einen Tropfen getrunken hat? Das Glas war noch voll, als es umgestoßen wurde. Er könnte die Einladung zu einem Glas angenommen haben, als Teil seines Planes, sich Zugang zum Haus zu verschaffen.«
»Er wußte natürlich, daß eine Mordwaffe in der Wohnung zur Hand sein werde –«
»Ich habe nicht gesagt, daß er den Mord plante«, gab Lestrade zurück. »Ich habe nichts von vorsätzlichem Mord gesagt, oder? Er wollte
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