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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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kenne Sie nicht und kann Sie für die Mühe, die Sie um meinetwillen auf sich nehmen, nicht entschädigen.«
    Sherlock Holmes’ graue Augen wurden feucht. Ich hatte selten einen so gefühlvollen Ausdruck in ihnen gesehen. »Der Wahrheit in dieser Welt nachzugehen, ist eine Mühe, die wir alle bereitwillig um unserer selbst willen auf uns nehmen sollten«, sagte er.
    Der Parse stand immer noch tränenüberströmt da, starrte den Detektiv an, schluckte und brachte kein Wort heraus.
    »Der Mann ist hoffnungslos astigmatisch«, stellte Holmes fest, als wir das düstere Gebäude verließen. »Haben Sie bemerkt, auf was für eine Weise er die Zeitung lesen mußte?« Die übliche zurückhaltende Kühle in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck hatten sich wieder eingestellt. »Es ist undenkbar, daß er über einen Tisch, der so groß ist wie der in McCarthys Wohnung, etwas klar erkennen konnte; und es ist ebenso schwierig, sich vorzustellen, daß jemand seiner Größe aus dieser Entfernung einen tödlichen Stoß mit einem stumpfen Brieföffner ausführte.«
    »Und was schlagen Sie vor?«
    Er sah im Licht der Straßenlaterne auf seine Uhr. »Kurz nach acht«, verkündete er. »Theaterzeit. Würden Sie mich auf einem Ausflug begleiten, Doktor?«
    »Einen Ausflug? Wohin?«
    »Porkpie Lane Nummer 14, Soho.«
    »Bram Stokers Wohnung?«
    »Ja.«
    »Werden wir einbrechen?«
    »Wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Nicht das geringste. Aber wieso interessiert Sie der Ort, da Sie meine Theorie ja ablehnen?«
    »Angesichts der jüngsten Ereignisse« – er zeigte mit gekrümmtem Daumen auf das Gefängnis – »bleibt uns nichts übrig, als selbst die nur am Rande Verdächtigen in dieser Sache zu eliminieren. Ich habe keine eigene Theorie, und Stoker plagt uns wie ein Gespenst. Vielleicht können wir seinen Einfluß aus unseren Gedanken verbannen. Zu diesem Zweck habe ich die Blendlaterne und ein paar Schlüssel mitgebracht, die sich als nützlich erweisen dürften. Kommen Sie mit? Gut. Droschke!«
    Die Droschke brachte uns in eine Gegend des West End, die mir nicht vertraut war. Wir fuhren zunächst durch gut, wenn auch etwas grell erleuchtete Straßen, in denen grölendes Gelächter und blecherne Musik widerhallten, dann erreichten wir eine Gegend, in der selbst die vereinzelten Straßenlaternen kaum Licht verbreiteten. Ich blickte mich in der Düsternis um, und die Vorstellung, hier gestrandet zu sein, behagte mir überhaupt nicht. Es waren in diesem Stadtviertel nur wenig Leute unterwegs; zumindest waren sie nicht sichtbar, aber mir schien, daß sie hinter Fenstern, in dunklen Ecken und in den drohenden Schatten der Häuser lauerten. Unsere Droschke war hier offenbar eine Neuheit, eine Auszeichnung, die von unserem Kutscher, den ich eine Flut von Verwünschungen ausstoßen hörte, mit starken Gefühlen aufgenommen wurde. Die Pferdehufe hallten gespenstisch auf dem verlassenen Kopfsteinpflaster.
    Porkpie Lane Nummer 14 war ein dreistöckiges Gebäude, zwischen zwei schäbige Nachbarhäuser eingezwängt. Sie waren etwas höher und lehnten über dem Dach von Nummer 14 gegeneinander, was einen schraubstockartigen Eindruck erweckte.
    »Wo ist es?« fragte ich und sah zu der sonderbaren Konstruktion empor.
    »Im zweiten Stockwerk, in der Mitte. Das Fenster ist dunkel, wie Sie sehen. Es hat einen kleinen Vorsprung.«
    »Man wollte vielleicht ursprünglich einen Balkon dort anbringen.«
    »Gut möglich.«
    Wir stiegen aus und vereinbarten mit dem widerwilligen Kutscher, daß er in einer Stunde zurückkommen und uns heimfahren solle. Er war froh, fortzukommen, und ich konnte es ihm nicht verübeln, denn die Umgebung war in keiner Weise anziehend. Ich hoffte nur, er würde sein Wort halten und zurückkehren.
    Wir warteten im Schatten des nächsten Gebäudes, bis das Pferd um die Ecke geklappert war. Dann zog Holmes, nachdem er sich sorgfältig umgeschaut hatte, einen Schlüssel aus der Tasche und hielt ihn in das kärgliche Licht.
    »Ein sehr nützlicher Gegenstand«, sagte er leise, »ich bekam ihn von Tony O’Hara, dem Gelegenheitsdieb, als ich ihn schnappte. Erinnern Sie sich an den Fall, Watson? Es war eine Art Abschiedsgeschenk, ein ganzer Ring voll von diesen hübschen Dingern. Sie öffnen jeweils eine Reihe einfacher Schlösser von derselben Machart. Wenn es mit einem nicht geht, nimmt man den nächsten.«
    »Sie haben heute abend nur zwei mitgenommen«, bemerkte ich, während er den Schlüssel ins Haustürschloß steckte und

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