Sherlock Holmes und die Theatermorde
gelandet waren, schlug Holmes dem Kutscher dankbar auf die Schulter. »Baker Street«, wies er ihn leise an, und wir kehrten, den teuflischen Mr. Stoker seinen ausgefallenen literarischen Versuchen überlassend, in unsere Wohnung zurück.
»Ihre Theorie hat wieder Federn lassen müssen«, bemerkte Holmes, als wir die siebzehn Stufen zu unseren Räumen hinaufstiegen. »Bram Stokers geheimer Unterschlupf dient der Schriftstellerei und keinem Rendezvous, da seine Familie und sein Arbeitgeber von dieser Betätigung offenbar nichts halten.«
»Ich kann verstehen, warum«, sagte ich. »Aber was halten Sie von den Passagen in dem Buch – die, in denen Leute zum Trinken gezwungen werden?«
»Ich habe auf dem Rückweg darüber nachgedacht«, erwiderte er und blieb auf der Treppe stehen. »Es gibt in Wirklichkeit nur die eine Methode, jemanden zum Trinken zu bringen. Nein, Watson, ich fürchte, die Sache hat eine ernste Wendung genommen. Wir mögen wünschen, Bram Stoker sei unser Mann, aber er ist es nicht – sowenig wie die unglückliche Kreatur, die Lestrade verhaftet hat. Der einzige Unterschied zwischen ihnen«, fügte er hinzu, als er die Tür öffnete, »ist, daß Achmet Singh hängen wird, wenn wir nicht den wirklichen Mörder finden. Hallo! Oh, es ist der junge Hopkins!«
Es war auch wirklich der Polizist mit dem sandfarbenen Haar, dem bei unserem Eintritt gerade ein Stuhl von unserer Hauswirtin angeboten wurde. Er stand sofort etwas unbeholfen auf und erklärte, Mrs. Hudson habe ihm erlaubt, auf uns zu warten.
»Schon recht, Mrs. Hudson«, sagte Holmes beruhigend, um ihren Redefluß zu dem Thema zu unterbrechen. »Ich weiß, daß Sie nicht gerne Polizisten im Wohnzimmer herumstehen haben.«
Die vielgeplagte Frau machte eine kurze Bemerkung über das sonderbare Treiben, das sich dieser Tage in ihrem Hause abspiele (womit sie, wir mir klar war, Holmes’ nachmittäglichen Auftritt meinte), und zog sich zurück.
»Nun also, Hopkins«, begann Holmes, sobald sich die Tür geschlossen hatte, »was bringt Sie zu einer Stunde in die Baker Street, in der die meisten dienstfreien Polizisten zu Hause sind und die Füße hochlegen? Ich stelle fest, daß Sie auf Umwegen hierher gelangt sind und sich große Mühe gegeben haben, nicht gesehen zu werden.«
»Himmel, Sir, wie haben Sie das herausgefunden?«
»Mein lieber junger Mann, Sie haben sich jeder Spur Ihrer Uniform entledigt, das heißt, Sie sind möglicherweise erst nach Hause gegangen. Und dann, was für ein Hosenbein! Es müssen sieben verschiedene Spritzer darauf sein, jeder augenscheinlich aus einem anderen Stadtteil. Mir scheint, ich erkenne Morast von der Gloucester Road, den Zement, den sie in der Kensington –«
»Ich mußte mich gewaltig vorsehen.« Der Jüngling errötete und sah bald Holmes, bald mich unsicher an.
»Sie können vor Dr. Watson hier sprechen, als sei ich allein«, versicherte Holmes ihm liebenswürdig.
»Nun gut.« Er seufzte und kam zu einem offenkundig schweren Entschluß. »Ich muß Ihnen rundheraus sagen, meine Herren, daß meine Anwesenheit hier mich in eine sehr schwierige Situation bringt – mit der Polizei, meine ich.« Er beäugte uns sorgenvoll. »Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen, verstehen Sie, nicht in offiziellem Auftrag.«
»Bravo«, murmelte Holmes. »Ich hatte recht, Hopkins. Sie haben eine Zukunft.«
»Ich bezweifle stark, daß ich bei Scotland Yard eine haben werde, wenn das hier herauskommt«, gab der niedergedrückte Polizist zurück, und seine ehrlichen Züge umwölkten sich bei diesem Gedanken noch mehr. »Vielleicht sollte ich am besten –«
»Warum rücken Sie sich nicht diesen Sessel ans Feuer und erzählen mir alles von Anfang an?« unterbrach ihn Holmes mit beschwichtigender Liebenswürdigkeit. »So ist es recht. Machen Sie es sich nur gemütlich. Hätten Sie gerne etwas zu trinken? Nein? Nun gut, ich bin ganz Ohr.« Zur Bestätigung schlug er die Beine übereinander und schloß die Augen.
»Es geht um Mr. Brownlow«, begann der Wachtmeister nach einigem Zaudern. Er sah, daß Holmes’ Augen geschlossen waren, und warf mir einen verblüfften Blick zu, aber ich winkte ihm, fortzufahren. »Mr. Brownlow«, wiederholte er. »Sie kennen Mr. Brownlow?«
»Den Polizeiarzt? Ich glaube, ich bin ihm gestern in South Crescent auf der Treppe begegnet. Er kam, um McCarthys Leiche abzuholen, nicht wahr?«
»Ja, Sir.« Hopkins fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
»Ein guter Mann, Brownlow.
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