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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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ihn hin und her drehte. »Woher wußten Sie, welche die richtigen waren?«
    »Weil ich mir heute nachmittag die Schlösser angesehen habe.«
    »Ich wußte nicht, daß Sie ein so geschickter Einbrecher sind.«
    »Recht geschickt«, erwiderte er munter, »und immer bereit für eine gute Sache. Es ist die Sache, die kleine Vergehen wie dieses rechtfertigt.« Er zwinkerte mir im Dunkeln zu. » L’homme c’est rien, l’Suvre c’est tout. Kommen Sie, Watson.«
    Das Schloß hatte unter seinen vorsichtigen Handhabungen nachgegeben, und die Tür öffnete sich vor uns. Ein winziger Korridor führte direkt zu einem baufälligen Treppenhaus. Wir erstiegen es ohne weiteres Zaudern, da es uns sicherer schien, uns so schnell wie möglich etwaigen Blicken zu entziehen. Ich sah mich beim Hinaufgehen um und überlegte, wozu das Haus wohl diente.
    Der Detektiv, der ein paar Stufen hinter mir war, hatte meine Gedanken gelesen. »Es ist eine Art Pension von der Sorte, die auf Durchgangskunden eingestellt ist«, informierte er mich. »Nur voran.«
    Es dauerte ein wenig länger, die Wohnungstür zu öffnen, aber nach einigen raffinierten Manipulationen war auch dieses Hindernis überwunden, und wir befanden uns in dem privaten Sanktuarium von Bram Stoker. Holmes öffnete die Blendlaterne, und wir sahen uns in dem kleinen Zimmer um.
    »Nicht gerade romantisch«, bemerkte er trocken und drehte sich langsam, die Laterne hoch über seinem Kopf haltend. Das Zimmer war zwar schäbig, aber reinlich und einfach. Es waren nur drei Möbelstücke zu sehen: ein Schreibtisch, ein Stuhl und eine kleine Couch. Auf dem Tisch standen ein einsames Tintenfaß und ein Löscher. An den gesprungenen Wänden, deren Tapete sich ablöste, hingen weder Bilder noch sonst irgendein Zierat.
    »Kaum ein Ort für ein Stelldichein«, stimmte ich zu.
    Er antwortete mit Brummen und ging zum Schreibtisch. »Ich beginne die Logik zu sehen, Watson. Die geheime Geliebte unseres Mr. Stoker ist die Muse der Literatur. Aber warum die Geheimnistuerei?« Er stellte die Laterne auf den Schreibtisch, setzte sich davor und begann, Schubladen aufzuziehen. Ich ging zu ihm und blickte ihm über die Schulter, während er ein Bündel von Papier hervorzog, das von einer präzisen, kleinen, überraschend femininen Handschrift bedeckt war.
    »Schauen Sie sich das an.« Er reichte mir einen Stapel, und ich begann – in Ermangelung eines anderen Stuhls oder einer zweiten Lichtquelle – neben ihm stehend zu lesen. Der Mann hatte, wie es schien, eine Reihe von Briefen, Tagebucheintragungen und persönlichen Notizen kopiert, die von Personen namens Jonathan Harker, Lucy Westenra, Dr. Abraham van Helsing, Arthur Holmwood und Mina Murray stammten.
    »Das muß eine Art Roman sein«, sagte Holmes leise, über die Papiere gebeugt.
    »Ein Roman? Sicherlich nicht.«
    »Ja, ein Roman, in Brief- und Tagebuchform geschrieben. Fällt Ihnen am Namen Jonathan Harker nichts auf?«
    »Ich nehme an, er hat eine vage Ähnlichkeit mit Stokers richtigem Namen.«
    »Vage? Er enthält genau die gleiche Silbenzahl, und die Silben sind in derselben Weise auf Vor- und Nachnamen verteilt. Stoker und Harker sind beinahe identisch, und Jonathan und Abraham stammen aus derselben Quelle, der Bibel. Harker muß Stokers literarisches Ich sein.«
    »Warum gibt es dann einen Doktor Abraham van Helsing?« fragte ich und zeigte ihm den Namen. Er las ihn stirnrunzelnd.
    »Namenspiele, Namenspiele«, murmelte er. »Offenbar war dieser Teil meiner Auslegung nicht zutreffend oder doch unvollständig.« Er fuhr fort zu lesen, wobei er die Manuskriptseiten sorgfältig umblätterte und vor Konzentration die Lippen schürzte.
    »Sehen Sie sich das an«, sagte er nach einigen schweigsamen Minuten. Ich kehrte von einer nutzlosen Besichtigungsrunde im Zimmer zurück und las, wieder über seine Schulter gebeugt:

    Auf dem Bett neben dem Fenster lag Jonathan Harker, schwer atmend, mit gerötetem Gesicht, wie betäubt. Am Bettrand, das Gesicht dem Zimmer zugewandt, kniete die weißgekleidete Gestalt seiner Frau; an ihrer Seite stand ein hochgewachsener Mann, der Graf. Er hielt mit seiner rechten Hand ihren Nacken und zwang ihr Gesicht auf seine Brust. Ihr weißes Nachtkleid war blutbefleckt, und ein dünnes Rinnsal sickerte auf seine nackte Brust, die von seinen zerfetzten Kleidern freigegeben wurde. Die Haltung der beiden erinnerte an ein Kind, das die Nase eines Kätzchens in die Milch stößt, um es zum Trinken anzuhalten. *
    »Guter

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