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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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das einzige in der Welt, das mir geblieben war. Sie sich in den Armen dieses bärtigen Luzifer zu denken war mehr, als Fleisch und Blut ertragen konnten, und ein grauenvoller Gedanke kam mir in den frühen Morgenstunden, während ich in der Stadt umherwankte. Er hatte ganz die perverse Logik eines echten Wahnsinns. Wenn Jonathan McCarthy Luzifer war, warum sollte ich ihn dann nicht mit der Geißel Gottes ringen lassen? Die Idee entlockte mir ein irres Kichern. Verschwunden war jede Erinnerung an Wissenschaft, Verantwortung, Arbeit; selbst die Folgen meiner fantastischen Pläne existierten nicht. Mein ganzes Sein war auf Rache gerichtet – fürchterliche, entsetzliche Vergeltung, die weder Vernunft noch Selbstbeherrschung kannte.
    Es ist nicht von Bedeutung, wie ich es tat; was zählt, ist, daß ich Jonathan McCarthy der pneumonischen Pest aussetzte. Ich weiß, in was für einem Licht Sie mich jetzt sehen; ich weiß recht gut, was Sie von mir denken müssen, meine Herren – und in der Tat, als die Stunden vergingen, begann ich, mein Verbrechen in derselben Weise einzuschätzen. Kein Mensch hatte einen solchen Tod verdient. Als ich zu mir kam, wurde mir auf einmal klar, was ich getan hatte. Die entsetzlichen Kräfte, die ich entfesselt hatte, mußten eingedämmt werden, bevor sie eine in unseren Zeiten nie dagewesene Katastrophe auslösen konnten. Ganz England, möglicherweise ganz Westeuropa war durch meine Wahnsinnstat bedroht.
    Meine Rückkehr zur Vernunft dauerte etwa zwölf Stunden. Danach eilte ich zu McCarthys Wohnung, um ihn zu warnen und ihm zu helfen, soweit es mir möglich war, aber ich fand ihn nicht vor. Vergebens durchsuchte ich ganz London nach dem Mann, forschte in allen Theatern und Restaurants, in denen die literarische Welt verkehrte. Niemand hatte ihn gesehen. Ich hinterließ schließlich eine Nachricht in seiner Wohnung, und er ließ mich wissen, daß er mich abends empfangen könne. Mir blieb nichts übrig, als darauf zu warten, während jede Stunde ihn meiner Macht entzog, ihn zu retten, und die Gefahr für den Rest der Welt erhöhte. Ich hatte inzwischen die orale Einnahme meiner Jodtinktur möglich gemacht, aber es war immer noch notwendig, sie innerhalb der ersten zwölf Stunden zu nehmen.
    Ich traf ihn an diesem Abend zu Hause an, wie er versprochen hatte, und unterrichtete ihn in zaudernden, aber dringlichen Worten von meiner Tat.«
    Eccles begann wieder zu husten und große Mengen Blut zu speien, während wir starr vor Entsetzen zusahen, die Taschentücher immer noch vor Mund und Nase gepreßt, um dem Gestank von Karbol und Verwesung zu entgehen. Er fiel erschöpft in seinen Sessel zurück, und jeder Atemzug schien ihm mehr Qual zu verursachen. Wenn nicht das Atemgeräusch gewesen wäre, hätten wir ihn für tot gehalten.
    Als er wieder zu sprechen begann, klangen die Worte verschwommen, als ob seine verbleibenden Muskeln sie nicht zu formen vermochten: »Er lachte mich wieder aus! Oh, er wußte, worin meine wahre Arbeit bestand, aber er hielt mich einer solchen Tat nicht für fähig. Er nannte mich Jack Point und lachte, als ich versuchte, ihm meine Jodtinktur, mit ein wenig Kognak vermischt, einzuflößen. ›Wenn ich infiziert bin‹, kicherte er, ›dann machen Sie sich nur schleunigst auf den Weg zu Miss Rutland mit Ihrem Gebräu. Ihr muß es noch viel schlechter gehen!‹ Er brach in erneutes Gelächter aus, lange und herzlich, bis mir klar wurde, warum es mir während der vergangenen zwölf Stunden nicht gelungen war, ihn zu finden. Und als ich es begriff, begriff, daß unser beider Handlungen uns alle drei verdammt hatten – und vielleicht Millionen mehr! –, da griff ich nach dem Brieföffner auf seinem Schreibtisch und erstach ihn.«
    Er seufzte mit dem Geräusch einer Kesselpauke, und ich wußte daß der Sand in seiner Uhr im Begriff war, zu verrinnen.
    »Von da an rollten die Ereignisse mit der absehbaren Präzision einer Maschinerie ab, die zur Selbstzerstörung gebaut war. Jessie war nicht zu retten. Meine Medizin würde wirkungslos sein, bevor ich zu ihr gelangen konnte. Die einzige Frage war, ob ich ihre Leiden vermindern konnte. Ich wartete in ihrer Garderobe auf sie und schickte sie in den Tod, als sie mir in die Arme fiel. Ich tat es so barmherzig wie möglich –«, Tränen rannen jetzt, zusammen mit der eitrigen Flüssigkeit, Eccles’ Wangen hinunter –, »und dann ging ich zum Hauptportal des Theaters und trat ein, als machte ich meine Abendrunde. Starr vor

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