Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
zweihundert Mann stehen unter Vertrag, Raureiter aus der ganzen Welt. Indianer, Cowboys, Mexikaner, Kosaken, Gauchos, Araber und Kavalleristen aus Europa. Das ist wie im Krieg! Das kann sich niemand vorstellen, der es nicht selbst erlebt hat.«
»Wirklich beeindruckend, Mr. Cody«, antwortete Holmes mit leicht ironischem Ton. »Aber was ist denn nun eigentlich passiert?«
»Goliath hat ihn tot getrampelt.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz! Wer bitte ist Goliath?«
»Der Leitbulle. Von der Büffelherde. Ein Riesenbrocken. Und der hat in seinem Verschlag einen tot getrampelt.«
»Wen?«
»Na, diesen Typen.«
»Ich vermute, Sie sprechen von einem Menschen. Und jetzt müssen Sie diesen Goliath erschießen?«
»Das würde ich gerne, aber the show must go on, wie man bei uns sagt. Ich kann mir hier in England nicht einfach einen neuen Leitbullen fangen. Ich brauche diesen. Vor allem hat er eine fast weiße Mähne. Absolut einmalig. Unersetzbar.«
»Und wozu brauchen Sie mich nun?«
»Naja, die Sache ist die. Der Präsident ...«
Burke nickte stumm, aber zustimmend. »Mr. Cleveland«, soufflierte er leise.
»Ja doch, ich weiß! Also der Präsident hatte Schiss, meine Posse 23 könnte irgendetwas hier bei Euch anstellen. Ich dachte erst, er meint die Bank von England ausrauben oder so etwas. Aber es ist wegen Ihrer Fürstin.«
»Queen Victoria«, verbesserte Burke.
»Dass keiner auf die schießt. Oder sie skalpiert.« Buffalo Bill lachte meckernd über seinen unziemlichen Scherz.
»Sie wollen sagen«, warf Holmes ein, »Mr. Cleveland befürchtet ein Attentat auf unsere Königin?«
»Genau auf die. Oder auf diesen Russki, der auch kommen will.«
»Großfürst Michail«, flüsterte Burke.
»Ja, genau, diesen ... Michael. Oder irgendwen anderen. Diese Raureiter sind wilde Burschen. Steckt man nicht drin, und ich kann nicht jedem einzeln auf die Finger gucken.«
Holmes' Züge verfinsterten sich. Er begann allmählich ungeduldig zu werden.
»Und deshalb hat mir diese Schwuch... also der Präsident, er ist nämlich mindestens fünfzig und hat mitten in seiner Amtszeit eine Zwanzigjährige geheiratet, da war vielleicht was los in Washington, aber egal. Also dieser Cleland hat mir so einen Typen aufs Knie genagelt, der auf alles aufpassen sollte, diesen ...«
»Jake Brannagan«, erläuterte Burke von hinten. »Und der Präsident heißt Cleveland, nicht Cleland.«
»Mr. Cody!«, rief Holmes dazwischen. »Bitte genauer! Dieser Mr. Brannagan war es doch wohl, der von Goliath totgetrampelt wurde?«
Cody nickte. »Ihr kleiner Sheriff hier ...« Er wies auf Lestrade. »... sagte, Sie seien ein ganz Schlauer. Scheint recht zu haben! Genau, der Typ vom Präsidenten ist platt wie 'ne Flunder.«
Major Burke wollte wieder etwas einsagen, ließ es aber, als er Holmes' bösen Blick auffing.
»Und wer ist beziehungsweise war dieser bedauernswerte Mr. Brannagan?«, wollte Holmes wissen.
»Das ist ja das eigentliche Problem. Brannagan war ein Pinkerton-Detektiv. Und deshalb will das Walross, pardon, Ihr Herr Bruder, alles verbieten.«
Einen Moment lang lag die Stille bleischwer über dem Zimmer, dann seufzte Holmes erleichtert auf. Endlich war es heraus. Und endlich nahm Codys verworrener Bericht eine gewisse Form an. Unser Premierminister, der Marquess of Salisbury, konnte sich keine Gesichter merken. Ich entsinne mich der Anekdote, der zufolge er bei einer Hofzeremonie hinter dem Thron zu stehen hatte. Als ihm ein junger Mann freundlich zulächelte, soll er leise seinen Nebenmann gefragt haben, wer denn der nette junge Mann sei. Euer ältester Sohn , soll dieser geantwortet haben.
Buffalo Bill schien im Hinblick auf Namen unter einer ähnlichen Unfähigkeit zu leiden. 24 Auch einen strukturierten Bericht abzuliefern, gehörte offenbar ebenso wenig zu seinen Begabungen wie bei unserem Freund Lestrade.
Nach einigen weiteren Rückfragen stellte sich die ganze Geschichte folgendermaßen dar. Jake Brannagan war ein Pinkerton-Detektiv und reiste mit Buffalo Bills Wissen als Geiger, Cody nannte ihn fiddler , in dem siebenundzwanzigköpfigen Cowboy-Orchester, das von einem gewissen William Sweeney geleitet wurde. Er sollte nach möglichen Attentätern Ausschau halten. Am Morgen hatte man ihn tot im Verschlag des Büffels Goliath gefunden. Wie Brannagan dorthin geraten war, wusste niemand. Es bereitete einige Mühe, den Toten mit Stangen unter den Hufen des tobenden Tieres aus dem Verschlag zu ziehen. Bis man ihn in
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