Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
gehört hatte, spätestens morgen früh einem halben Dutzend Menschen unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit weitererzählt haben würde. Und dann würde es tous Londres wissen. Ich hätte es auch gleich in die Zeitung setzen können. 36 Das Beste würde sein, wenn ich Sherlock Holmes gleich nachher beichtete. Mein Versuch, Eliza von allerlei hässlichen Verdächtigungen reinzuwaschen, musste doch auch sein Verständnis finden.
»Es ist wirklich ein für unsere Gesellschaft typisches Phänomen«, resümierte Shaw. »Der Sprache wird übergroße Bedeutung beigemessen. Es wird Ihnen verziehen, wenn Sie in Lumpen einherkommen, aber Oxford English sprechen. Aber wenn Sie einen Frack tragen und sich des Dialekts von Soho bedienen, können Sie sich sofort eine Kugel in den Kopf schießen. Kaum sagt ein Engländer etwas, steht schon eine halbe Armee anderer Engländer bereit, die glauben, auf ihn herabsehen zu dürfen. Aber um der Vollständigkeit willen: Was ist eigentlich aus Eliza geworden? Sie soll dem Vernehmen nach weder bei Higgins noch bei Freddy Eynsford-Hill sein.«
In diesem Moment betrat Holmes das Wohnzimmer. Ich machte mich schon auf ein Donnerwetter gefasst. Holmes hasste Klatsch und Tratsch. »Ah, man spricht gerade vom Fall des verliebten Phonetikers. Watson, Watson, wer hätte gedacht, dass ich Sie noch beim Umhertragen von Gerüchten ertappen würde.«
»Ich trage keine Gerüchte umher«, versuchte ich mich hochroten Kopfes zu rechtfertigen. »Ich schaffe sie aus der Welt!«
Holmes ging gar nicht darauf ein. Er war guter Laune, nahm sich ein Glas und bediente sich genau wie ich zuvor am Sherry. »Wie auch immer! Ich habe die letzte Frage vernommen und kann den Verbleib von Karpathy und Eliza erklären. Erstens war den Zeitungen vom vergangenen Mittwoch zu entnehmen, dass Fürst Vladko mit seinem gesamten Gefolge – und dazu gehört zweifellos auch sein Chefdolmetscher – nach Transsilvanien abgereist sei. Demnach ist Karpathy ins Land der Untoten und Vampire zurückgekehrt.«
»Da gehört er auch hin«, meinte ich. »Was er über die Sprache der Untertanen Ihrer Majestät sagte, war einfach unerträglich!«
»Dem kann niemand widersprechen, lieber Watson. Und heute Morgen, als ich das Haus verließ, überreichte mir Mrs. Hudson eine kleine Anzeige aus ihrem Lieblingsblatt, dem Daily Herold . Offenbar hat sie wieder einmal am Lüftungsrohr gelauscht, als Mrs. Higgins uns den Fall vortrug.« Er zog ein Stück Papier aus der Jackentasche, das ganz offensichtlich aus einer Zeitung ausgeschnitten war. » Ihre Vermählung geben bekannt Aaron und Elizabeth Finkelstejn, geborene Doolittle .«
»Wer ist Aaron Finkelstejn?«, wollte Shaw wissen.
»Um das herauszufinden, suchte ich gleich heute Morgen ein Adressbüro auf. Sie werden nicht glauben, was Mr. Finkelstejn beruflich macht.«
»Lassen Sie uns Ihres Wissens teilhaftig werden, Holmes«, bat ich.
»Aaron Abramowitsch Finkelstejn, ein promovierter Jurist übrigens, stammt aus Odessa und ist Russischlehrer an der neuen Sprachschule von Maximilian Berlitz hier in London.« 37
Wieder begann Shaw lauthals zu lachen und wieder bebte sein Ziegenbart im Takt dazu. »Das ist wirklich gut«, meinte er. »Das ist so gut, dass ich irgendwann einmal noch eine Komödie daraus machen werde. Vielleicht sollte man auf eine der Metamorphosen Ovids zurückgreifen. Mir fällt ganz spontan die Geschichte von Narziss und Echo ein. Diese Eliza ist die Nymphe Echo, Higgins Narziss, und er geht schließlich an seiner Eigenliebe zugrunde.«
»Keine schlechte Idee«, antwortete Holmes.
»Aber wäre, wenn es denn die Metamorphosen sein sollen, der unglückselige Pygmalion nicht die viel geeignetere Figur? Er verliebt sich in sein eigenes Geschöpf, wird aber nicht wiedergeliebt, weil er im Grunde viel zu verstockt ist, um selber zu lieben.« Holmes verstand entschieden mehr von antiker Mythologie als ich, der ich immer ein braver, fleißiger discipulus linguae latinae gewesen war.
Shaw gefiel das ganz und gar nicht. »Holla! Wer ist denn hier der Schriftsteller, Holmes, Sie oder ich?« Dann aber verstummte er für einen Moment. »Beim Jupiter, Holmes, ich glaube, Sie haben recht! Pygmalion! Pygmalion! So soll das Stück heißen! Mann, Sie sind ein Genie! Das kann wirklich nur mir einfallen! Allerdings den Schluss der Geschichte, den werde ich wahrscheinlich ändern! Wenn das Stück fertig ist, werde ich es Ihnen in Dankbarkeit zueignen.«
Holmes hob abwehrend die
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