Sherry Thomas
du meinst, ich hätte all die Jahre nur den Titel einer Duchess für dich
gewollt, irrst du dich. Mir ist doch aufgefallen, wie ihr während eurer
Verlobungszeit die ganze Zeit Händchen gehalten und miteinander geflüstert
habt. Ich habe dich nie zuvor und auch seitdem nicht mehr so glücklich gesehen.
Und ihn ebenfalls nicht. Camden durfte nie jung sein, weil ihm immer die
Verantwortung für das Heil der ganzen Welt auf den Schultern lastete. Nur
damals mit dir hat er einmal all seine Reserviertheit fallen lassen.«
»Das ist sehr lange her,
Mutter.«
»Nicht so lange, dass ich mich nicht
mehr daran erinnern könnte. Oder dass einer von euch beiden es je vergessen
wird.«
Gigi seufzte und trank ihren Tee
aus. Der war inzwischen kalt und außerdem viel zu süß. Das lag daran, dass
Camden ihre Hand zufällig berührt hatte, als er die Zuckerdose herüberreichte.
Danach war sie nicht mehr in der Lage gewesen, klar zu denken. »Was ändert es,
ob wir vergessen, was war, oder nicht? Ich habe ihn geliebt, das will ich gar
nicht bestreiten. Und vielleicht empfand er ebenso für mich. Aber jetzt ist
das alles vorbei. Heute liebt er mich jedenfalls nicht mehr und ich ihn auch
nicht. Falls es eine zweite Chance gibt, habe ich davon noch nichts mitbekommen,
und Camden hat mir gegenüber auch nichts dergleichen erwähnt.«
»Willst du es denn nicht
begreifen?«, rief Mrs. Rowland aufgebracht und setzte ihre Tasse klirrend
auf der Untertasse ab, sodass die milchig-braune Flüssigkeit darin über den
Rand schwappte. Auf dem Tischtuch breitete sich ein hässlicher Fleck aus. Gigi
hatte es bei ihrer unglückseligen Skandinavienreise in Kopenhagen gekauft.
Solche kleinen Malheure passierten ihrer Mutter normalerweise nie. »Fällt dir
nicht auf, wie er sich dir gegenüber benimmt? Er wohnt bei dir hier in England
– in deinem Haus. Ist freundlich und höflich zu dir, hat dich sogar überredet,
mit zu mir nach Devon zu kommen. Muss ich dir das wirklich alles en detail vorbeten
oder es in Steintafeln hauen, damit dir etwas auffällt? Himmel noch
einmal!«
Es fiel Gigi so schon schwer genug,
mit der Situation fertigzuwerden. Da brauchte sie nicht auch noch ihre Mutter,
die ihr wortreich alle Widersprüche in Camdens Verhalten vorbetete. Sie war ja
kein solcher Strohkopf wie die Frauen in den Stücken von Oscar Wilde.
»Hast du vergessen, weshalb er
überhaupt hier ist, Mutter?«, erkundigte sie sich kühl. »Weil wir uns
scheiden lassen. Ich habe Lord Frederick meine Hand versprochen.«
Abrupt stand Mrs. Rowland
auf. »Ich lege mich
jetzt ein wenig hin. Wenn Seine Gnaden heute Abend erscheint, möchte ich keine
dunklen Ringe unter den Augen haben und erschöpft aussehen. Nur eines noch:
Wenn du wirklich glaubst, dass du Lord Frederick auch nur ansatzweise so sehr
liebst wie Tremaine – und ja, du liebst ihn immer noch –, bist du ein
schlimmerer Narr, als Shakespeare sich jemals einen ausdenken konnte.«
Gigi saß noch lange im Salon,
nachdem Mrs. Rowland aus dem Zimmer gerauscht war. In Gedanken versunken aß sie
das Sahnetörtchen auf, das ihre Mutter auf dem Teller zurückgelassen hatte,
und dann auch noch die beiden Marmeladenküchlein, die auf der Etagere lagen.
Wenn sie nur ganz sicher gewesen
wäre, dass Mama unrecht hatte.
Kapitel 22
Auf den ersten Blick wirkte der Duke
weder wie ein Gelehrter noch wie ein Frauenheld ... An ihm haftete kein Staub
alter Bücher, und er erschien auch nicht in Begleitung einer kurvigen
Geliebten. Allerdings war ihm anzumerken, dass er vollkommen durchdrungen
davon war, Mitglied des exklusivsten Hochadels zu sein. Der Duke of Fairford,
Gigis Schwiegervater, konnte manchmal sein Glück noch immer nicht recht fassen
und war sich bewusst, dass ihm ein Zufall die Herzogswürde beschert hatte.
Dieser Mann hingegen war in diese gesellschaftliche Stellung hineingeboren
worden und fühlte sich dem Rest der Menschheit deutlich überlegen. Er wusste,
dass er halb England durch seinen Titel allein einzuschüchtern vermochte.
Gigi war da nicht so beeindruckt.
Obwohl man sie ja dazu erzogen hatte, eines Tages Duchess zu werden, hatte sie
von ihren bürgerlichen Vorfahren eine demokratischere Einstellung geerbt.
»Guten Abend, Eure Gnaden.«
»Lady Tremaine, wie schön, dass Sie
doch noch beschlossen haben, uns heute Abend Gesellschaft zu leisten.«
Sein ironisches Lächeln ließ vermuten, dass er nicht vollkommen ahnungslos war,
zu welchem Zweck dieses Dinner gegeben wurde.
Mrs. Rowland
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