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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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denen Miss Fletcher
ihn ausgestattet hat. Wenn ein polnischer Baron über ein Jahr braucht, um sein
Erbe einzufordern, würde es bei einem Land am Rande des ökonomischen
Zusammenbruchs und bei den Summen, um die es ging, noch viel länger dauern.
Aber es stand sehr viel auf dem Spiel. Vielleicht war dies sozusagen das
Lotterielos, die einzige Überlebenschance für dieses Land.
    Analytischer Verstand, ausgeprägte Fähigkeit, größere
Zusammenhänge zu erfassen, stand in seinem Abschlusszeugnis.
Er ist sich völlig darüber im Klaren, welch gefährliche Folgen dieses Spiel
haben könnte, welche Konflikte ausbrechen könnten. Im Moment ist er der
Einzige, der in der Lage wäre, diesen Prozess aufzuhalten. Wie lautete der
Slogan auf dem T-Shirt, das ihm sein ehemaliger Kommilitone Adamow letztes Jahr
schenkte? Zu Großem bestimmt, teile ich meine Kräfte ein.
    Zurück im Hotel, wäscht er sich im Bad die Hände noch
länger als sonst und übt dabei vor dem Spiegel sein offenes, schüchternes
Lächeln. Er ist bereit für den nächsten Schritt.
     
    KATE
     
    8
     
    London, März 2001
    »Es lag an der Beleuchtung«, beruhigt sie sich selbst.
»Die gruslige Beleuchtung war der Grund.« Sie steht am Ausguss, mit geschlossenen
Augen, und weiß nicht, was sie mit ihren Händen anfangen soll. Sie versucht
sich an den Nachtclub zu erinnern: ein stickiger Raum mit kleiner Tanzfläche,
das Zickzack pulsierender Schatten. Der künstlich blaue Schein erfüllte den
Raum und ließ die Gesichter bleich, fast leichenhaft wirken. Oder war es die
laute, hämmernde Technomusik? Jedenfalls war es nicht der Drink, so viel stand
fest. Sie hatte ja nur ein Glas Champagner getrunken und ein Glas säuerlichen
Weißweins, und dann hatte Philip sie mit Mojito-Cocktails bekanntgemacht. Die
seien ganz leicht, meinte er, sie bestünden quasi nur aus Limettensaft und
Minzblättern. Also hat sie ein paar davon getrunken - na ja ... oder waren es
mehr? Ein stählerner Reif schließt sich immer enger um ihre Schläfen und
überflutet sie mit Schmerz. Kate hebt die schweren Augenlider und wendet den
zerquälten Kopf langsam dem Wecker auf dem Fenstersims zu. Wie erwartet. Sie
ist spät dran. Sie muss jetzt los, wenn sie es rechtzeitig zur Konferenz
schaffen will. Es ist einfacher, hinzugehen und sich zusammenzureißen, als
Carol Fletcher zu erklären, dass sie es einfach nicht geschafft hat, weil sie
sich bis in die Morgenstunden in diesem Nachtclub herumgetrieben hat. Kate muss
zugeben, dass ihre Chefin eine außerordentlich pflichteifrige Anwältin ist,
aber sie hat eine wesentlich ausgeprägtere Beziehung zu Gerichtsakten als zu
Menschen. Der wache Teil ihres Gehirns analysiert die Situation. Philip ist schon
ins Büro gefahren, kann also nicht helfen. Na ja, wahrscheinlich könnte sie
sowieso nicht sprechen. Ihr Mund ist trocken wie Pergament, und wenn sie mit
der Zunge über ihren Gaumen fährt, fühlt der sich an wie Sandpapier.
    Kate streckt die linke Hand aus und tastet in der
Schachtel auf dem Badregal herum, als handelte es sich um ein Spiel im
Kindergarten: »Rate mal, welcher Gegenstand das ist!« Sie ertastet weiche gewaschene
Baumwolle (Philips zerknülltes Taschentuch), gebogenes Plastik (eine
verlorengeglaubte Haarklammer). Nach der kühlen glatten Folie der
Schmerzmittelpackung sucht sie vergebens. Also muss sie sich nach unten
schleppen. In ihrer Tasche liegen oft so überraschende, aufregende Dinge
verborgen, nie weiß sie im Voraus, was sie darin finden wird. Aber erst muss
sie die Tasche suchen.
    Um wie viel Uhr sind sie und Philip heute Morgen
zurückgekehrt? Sie versucht sich an die Feier in dem exklusiven
Members-Only-Club zu erinnern: die elegant gekleideten Menschen in der Bar, die
einander träge beäugten, in der Hoffnung, ein prominentes Gesicht zu
entdecken. Philips triumphierender Blick, als der Kellner eine entspannt in der
Couchecke versammelte Gruppe zum Gehen auffordert, weil seine, Philips, Gäste
eingetroffen waren. Zu Kates Erleichterung war es beim Lärm dieser Musik fast
unmöglich, sich zu unterhalten - momentan haben sie sich ja kaum noch was zu sagen.
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass Philip in das New Yorker Büro
versetzt wurde.
    »Kate wird mich jedes zweite Wochenende besuchen, das wird
wunderbar«, hat er gestern zu Mark und Alex gesagt. Dabei hat er zerstreut
Kates Knie getätschelt - eine längst vergessene Geste. Vielleicht wegen der
vielen Cocktails, die er intus hatte? In einer letzten

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