Shevchenko, A.K.
von ihr verlange. Doch sie versank so
rasch im Meer neuer Entdeckungen, Ängste, Fragen, dass sie, um nicht zu
ertrinken, hastig hervorstieß: »Natürlich, Vater. Wann muss ich aufbrechen?«
Jetzt ist sie seit einem Monat unterwegs, verkleidet als
Student, der sich auf dem Weg zur Deutschen Universität befindet, um sein
Studium fortzusetzen. An dieser Reise ist nichts Ungewöhnliches. Jakiw hat
zuerst vorgeschlagen, dass sie auf dem Seeweg reisen solle: nach Süden, zur
Saporoger Sitsch, dem Kosakenstaat, und dann an Bord eines Handelsschiffs übers
Schwarze Meer. Doch ihre Mutter protestierte. »Manchmal«, raunte sie Sofia zu
und griff die Geschichten auf, die Reisende an langen Winterabenden erzählten,
»gehen adlige Witwen, die zu heiligen Stätten pilgern, in der Steppe den
Tartaren in die Falle, und dann«, hier senkte sie die Stimme noch mehr, als
könnten die Räuber sie hören, »werden die Frauen ausgeraubt und auf dem
Sklavenmarkt von Kafa auf der Krim verkauft.« Jakiws lächelte zwar verstohlen
hinter seinem rabenschwarzen Schnauzbart, doch die Maske des Kummers, zu der
Olenas Züge für die nächsten drei Tage erstarrten, ließ ihn auf Alternativen
sinnen.
Sofia hätte die Flussroute nehmen können. Flachs und Hanf,
erklärte ihr Jakiw, würden hier in Frachtkähne verladen, auf dem Flussweg
transportiert, dann weiter auf dem Landweg durch russisches Gebiet bis zum
baltischen Hafen Riga und von dort nach England verschifft. Doch Sofia wehrte
sich mit Händen und Füßen dagegen. Die massigen 30-Tonnen-Frachtkähne, die
schwerfällig über die Desna glitten, erinnerten sie stets an die fetten
Schnecken, die in der verwilderten Ecke des Küchengartens lebten: faule,
schläfrige Leiber, an der Seite dunkel und feucht, oben ein massiver Aufbau.
Sofia wollte viel lieber mit einer Karawane der tschumaki reisen,
der kosakischen Händler, deren mit Salz, Korn, Leinen und Leder beladene
Fuhrwerke quer durch Europa rumpelten. »Tato«, wandte sie
sich an ihren Vater, »ihre Wege sind vielbefahren und sicher; niemand weiß
besser, zu welchen Zeiten man reisen und wo man Station machen soll.« Außerdem
lebten ja einige Familien gleich im nächsten Dorf, und ihre allerliebsten
Eltern wären doch bestimmt viel ruhiger, wenn sie während der Reise unter
nachbarlicher Obhut stünde, nicht wahr? Ihre Mutter wandte sich ab, murmelte
Gebete zur gegenüberliegenden Zimmerecke hin, wo das zarte Licht einer
Räucherkerze unter dem angelaufenen Silber des obrasok flackerte,
ihrer Mitgift-Ikone. Doch Jakiw nickte zustimmend. Insgeheim erfüllte es ihn
mit Stolz, dass seine Tochter so neugierig war und den Beginn der Reise kaum
erwarten konnte. »Das ist wahrer Kosakengeist!«, pflegte er zu sagen.
Die Karawane folgte der Westroute nach Polen und Preußen,
die fast die ganze Zeit über hostynzi verlief -
die breiten, staubigen Straßen zwischen wilden Wiesen, wo Wildpferde weiden,
denen das Gras bis zum Bauch reicht, vorbei an schmucken Dörfern mit kleinen
weißgetünchten, strohgedeckten Häusern. Die Händler brachten ihr das alte,
ungeschriebene Gesetz der Straße bei. Sie lernte, wie man die Karawane über
Nacht in eine kleine Wagenburg verwandelte, indem man alle Ecken durch Karren
absicherte. Sie liebte das einfache Essen und die schlichten Scherze, aber am
meisten genoss sie abends, wenn alle am Feuer hockten, die Geschichten über die
alten Zeiten und die echten Kosaken, die man vor hundert Jahren die »neuen
Ritter Europas« genannt hatte. Sie hörte von den charakternyky, den unverwüstlichen Kosaken, die im Feuer nicht verbrannten, die
unter Wasser leben konnten, die sich in Tiere verwandeln konnten und dem Feind
mit bloßen Händen rotglühende Kanonenkugeln entgegenschleuderten; sie hörte
von der furchtlosen Kriegsführung der Kosaken. »Die fühlten sich im Krieg so
wohl wie der Fisch im Wasser, Sofia. Im Kampf zu sterben war ihr größter
Traum.« Nur eine Geschichte mochte sie nicht - die Geschichte von der goldenen
Regel, die im Kosakenstaat herrschte, und zwar unter Androhung der Todesstrafe:
Frauen wurden nicht geduldet, weder Schwestern noch Geliebte noch Mütter.
»Warum hatten sie diese Regel?«, fragte sie einen alten tschumak.
»Das waren Soldaten, Sofia, mit strenger militärischer
Disziplin. Die konnten ihre Zeit nicht mit Liebe und Ehe vergeuden!«, erwiderte
er augenzwinkernd. Sofia runzelte die Stirn und biss sich auf die Lippen,
stellte aber keine weiteren Fragen. Ab Warschau
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