Shevchenko, A.K.
englischer Gesetzgebung muss das Testament einen
oder mehrere Nachlassverwalter oder Treuhänder benennen, die die letztwilligen
Verfügungen zur Ausführung bringen. Im Fall des vorliegenden Testaments sind
die Nachlassverwalter bekanntlich verstorben. Die Sterbeurkunde des Erblassers
muss vorgewiesen und die Identität des Anspruchsberechtigten überprüft werden.
Es gab einen berühmten Fall Ende des 19. Jahrhunderts, als ein australischer
Nachkomme seine Identität nicht zufriedenstellend nachweisen konnte und die
Bank die Auszahlung des Erbes verweigerte.« Pause. Sie starrt Andreij trotzig
an. Er nickt. »Sobald das Testament vorgelegt wird und die Identität des Anspruchsberechtigten
zweifelsfrei erwiesen ist, werden die Rechtsanwälte mit der Bestätigung des
Testaments beauftragt, mit anderen Worten, sie erhalten den Auftrag, für eine
oder mehrere Personen den entsprechenden juristischen Schriftsatz abzufassen,
der die Betreffenden autorisiert, ihre Pflicht als persönliche Repräsentanten
des Verstorbenen zu erfüllen. Manchmal zahlen Versicherungsgesellschaften oder
Bausparkassen das Geld auch ohne gerichtliche Testamentsbestätigung an die
Angehörigen aus, sofern es sich um eine geringfügige Summe handelt und es
keine Komplikationen gibt. Wie wir beide wissen, bestünde diese Möglichkeit in
unserem Fall angesichts der riesigen Summe selbstverständlich nicht.«
Andreij lehnt sich zurück. Er lauscht konzentriert, wirkt
aber entspannt, fast ruhig. Als führe er hier die
Beratung durch und Kate schütte ihm ihr Herz aus. Sie setzt noch eins drauf:
»Natürlich gibt es einen weiteren wichtigen Punkt zu bedenken. Im Falle eines
Internationalen Testaments muss ein für Internationale Testamente autorisierter
Anwalt oder Notar eine spezielle Bescheinigung vorlegen, die dem Testament
formal Gültigkeit verleiht. Falls der Hauptwohnsitz des Erblassers im Ausland
liegt, wird die Entscheidung über die Wirksamkeit eines Testaments gemäß den
jeweiligen Gesetzen des betreffenden Landes getroffen.«
Pause. Nicken.
Er streicht sich die Ponyfransen aus dem Gesicht. Kate
starrt auf Andrijs hohe Stirn, als lese sie dort eine Botschaft ab. »Wichtig
ist auch, das Testament daraufhin zu überprüfen, ob es irgendwelche Fehler
enthält oder ob es sich um eine Fälschung handelt oder ob bei der Verfertigung
des Testaments eine unzulässige Beeinflussung stattgefunden hat, denn all dies
können gute Gründe sein, das Dokument für ungültig zu erklären.«
»Wie lange würde dieses Prozedere dauern?«, fragt Andreij
sanft, als störe es ihn nicht, dass sie ihn immer noch anstarrt. »Tja, wenn
alles gründlich und rasch überprüft wird, kann das zwischen einem Monat und
einem Jahr dauern.« Sie ist erschöpft. Es sieht nicht so aus, als würde er
klein beigeben. »Ich habe auch ein Schreiben an das Archiv in Frankreich geschickt«,
fährt sie fort. »Als ich Ihre Notizen las, ist mir nämlich noch etwas
Merkwürdiges aufgefallen. Der Familienlegende der Polubotoks zufolge wurde das
Testament in Frankreich vom französischen Grafen Orly aufbewahrt und Ende des
18. Jahrhunderts an Grygorij Polubotoks Ur-ur..., was weiß ich, ...großvater
weitergegeben, als dieser in Frankreich Station machte, bevor er nach
Lateinamerika emigrierte. Da stellt sich doch die Frage: Warum wurde das
Testament in Frankreich aufbewahrt? Warum wurde es ausgerechnet einem
französischen Grafen anvertraut?«
»Während wir auf den Brief aus Frankreich warten, der
alles erklären wird, können wir unsere Suche doch fortsetzen?« Dieser abrupte
Themenwechsel ist mal wieder typisch für Andrij. Und ihre Frage hat er auch
nicht beantwortet.
Kate greift zu ihrem letzten Argument. Ȇbrigens, ich hab
noch gar nicht danach gefragt - wie viel versprechen Sie sich eigentlich von
dieser Sache?«
Er nimmt die Brille ab. Schließt die traurigen
Spanielaugen, reibt sich mit dem langen Zeigefinger den Nasenrücken, als
massiere er ein, was er gerade gehört hat. Einen Moment lang wirkt er sehr
verletzlich, und Kate erschrickt, als sie merkt, wie gern sie ihn umarmen
würde. Oder ihn auf die Wange küssen würde. Doch schon wappnet sich Andrij
wieder mit der dünnrandigen Brille und sagt ernst, in seinem schlichten
Englisch: »Ich möchte es einfach nur für mein Land tun.« Sie hat diese Phrase
schon öfter gehört - in amerikanischen Filmen mit »patriotischer Botschaft« -
und sie immer fürchterlich theatralisch gefunden. Doch jetzt verblüfft es
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