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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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Truppenübungen der Allianz.
    Im Klartext: Siehe Überschrift des zweiten Artikels. Die
geopolitische Lage unseres Landes im Zentrum Europas ist zugleich die
militärstrategische Lage - oder nicht?
    Sport: Unsere Jungs sind derzeit nicht gut in Form. Das
hat das gestrige Spiel zwischen Dynamo Kiew und Juventus Turin erneut gezeigt.
Wann werden wir in der Liga der großen europäischen Mannschaften spielen?
    Im Klartext: Wir haben unsere besten Spieler an führende
europäische Vereine verkauft. Was kann man vom Rest des Teams schon noch
erwarten?
    Die letzte Seite zeigt das schwarzumrahmte Foto jener
alten Frau, die er vor nur wenigen Tagen in ihrer kleinen Wohnung in Kiew
getroffen hat.
    Wie traurig, denkt Taras und betrachtet die Fotografie.
Darunter steht ein Nachruf:
     
    Unsere berühmte Historikerin Wera Maximowitsch wurde von
ihrer Tochter gestern tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Der Leichenbeschauer
hat bestätigt, dass es sich bei der Todesursache um eine
Kohlenmonoxidvergiftung handelt: Wera Maximowitsch hat versehentlich die
Lüftungsklappe des alten Gasboilers in der Küche geschlossen. Sie war
einundachtzig. »So ist das leider mit dem Alter«, sagte die von Kummer
gezeichnete Tochter. »Mutter erinnerte sich bis ins kleinste Detail lebhaft an
die Vergangenheit, doch die Verbindung zur Wirklichkeit kam ihr allmählich
abhanden.« Mit Wera Maximowitsch haben wir eine der größten Historikerinnen
unserer Zeit verloren. Ihr Name Wera - Glaube - war in der Tat symbolisch. Sie
hat immer an die Wiedergeburt unserer Nation geglaubt, hat die nationale
Erinnerung bewahrt. Ihr kühner Artikel Die ukrainische Trumpfkarte in der
Weltgeschichte wurde in den dunkelsten Zeiten sowjetischer Zensur
zitiert und weitergereicht. Wir bewundern Astrologen für ihre Fähigkeit, in
die Zukunft zu blicken. Wir werden Wera Maximowitsch für ihr unglaubliches
Talent bewundern, in die Vergangenheit zu blicken und das Dunkel der
Jahrhunderte und der massiven sowjetischen Propaganda zu durchdringen.
     
    Taras lächelt das Foto der Professorin an. »Danke, Pani Maximowitsch«,
sagt er leise. »Danke, dass Sie dies erneut bestätigen. Bei dieser Operation geht
es für mich nicht um das Begleichen alter Rechnungen oder die Chance einer
Beförderung. Es geht um die ukrainische Trumpfkarte.« Er faltet die Zeitung
akkurat zusammen.
    Nicht alles ist in den letzten beiden Monaten nach Plan
verlaufen, und er hat die verdammten Dokumente immer noch nicht gefunden. Aber
wenigstens hat er alles nur Mögliche getan, um potenzielle Probleme zu
beseitigen. Der ukrainische Präsident wird in einer Woche in London sein. Ein
perfekter Zeitrahmen, um den Fall abzuschließen, die Operation zu beenden.
Apropos Zeitrahmen ... Taras wirft einen Blick auf die Abflugtafel. Alles beim
Alten.
    Um ihn herum, auf den Stuhlreihen, die sich um
Souvenirkiosks, Bars und Cafes gruppieren, ist die ganze Welt vereint. Neben
Taras sitzt ein Mann mittleren Alters; er hält eine Mappe mit der Aufschrift
»Weltkongress der Augenheilkunde, Bratislava 2001« auf den
Knien und lauscht konzentriert einer jungen Blondine in Minirock und
Pelzjäckchen, die die Gefahren des Lebens in Spanien schildert.
    Ein amerikanischer Missionar in einem verblichenen Anorak
studiert mit lautlosen Lippenbewegungen die Bibel, und neben ihm liest ein
vornehm wirkender Priester eine Zeitung, deren Alphabet Haken und Wellenlinien
aufweist. Sehr wahrscheinlich ein Georgier.
    Ein Mann im dunklen Anzug, mit knallbunter Krawatte, lässt
sich ein riesiges Stück Schokoladentorte schmecken. Er ist glatzköpfig, rund
wie ein Teigbatzen, und sein Gesicht leuchtet in kindlicher Freude. Er befindet
sich im siebten Himmel, schwebt über dem Nebel und achtet weder auf die
Abflugtafeln noch auf seine Umgebung.
    Vier picklige Teenager in identischen Trainingsjacken, auf
deren Rücken in blaugelben Lettern der Slogan Leichtathletik-Jugendteam
Ukraine prangt, scherzen mit einem bleichen Mädchen im Rollstuhl.
Das Mädchen kichert lautlos und bedeckt mit dünnen Fingern die Schläuche, die
aus ihrer Nase kommen. Ein Fußballfan im Kilt und ein sonnengebräunter Mann
erzählen einander Geschichten; der Braungebrannte trägt ein T-Shirt, das seine
Herkunft verrät: Australia ... Feel on top of the world! Auf dem
Tisch türmen sich leere Bierdosen und Chipstüten; den beiden scheint die
Verspätung gar nichts auszumachen, und die Ironie des Forfwna-Bar-Schilds geht
an ihnen vorbei. Ein Mädchen am Nebentisch

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