Shevchenko, A.K.
damals gedacht
- zum Beispiel, ob man Zucker wolle -, und man hätte alles gestanden. Sie
schüttelte den Kopf und machte sich auf die Suche nach dem Restaurant. Obwohl
sich das Restaurant laut Hotelbroschüre im zweiten Stock befand, irrte sie gute
zehn Minuten vergebens umher, bis sich die Empfangsdame, sichtlich amüsiert
über Kates missliche Lage, erkundigte: »Restaurant? Suchen Restaurant?« Und
als Kate nickte, nahm die Empfangsdame sie wie eine stolze Blindenführerin bei
der Hand und führte sie zu der braunen Tür mit der Aufschrift Pectopah. Kate
hatte diese Tür bereits gesehen, aber das rätselhafte Wort hatte sie verwirrt.
Sie war nicht drauf gekommen, dass es »Restaurant« hieß, in kyrillischer
Schrift.
Das Fass zum Überlaufen brachte dann die abgehärmt
wirkende Kellnerin, die der hungrigen Kate einen dampfenden Teller mit
Borschtsch hinstellte. Schon nach zwei Löffeln war Kate klar, dass die einzige
Ähnlichkeit, die diese Suppe mit dem Borschtsch ihrer Babusya hatte,
der Name war. Dieses eine Mal in ihrem Leben lobte sie sich für ihre chaotische
Art - denn in den Tiefen ihrer Handtasche harrte, in Gestalt eines alten
Kit-Kat-Riegels, die Rettung vor dem Hungertod.
Als Kate sich am nächsten Morgen hinauswagte, fand sie
schon nach zehn Minuten, dass eine verrückte junge Engländerin auf
Sightseeingtour, die in hochhackigen Schuhen durch den Schnee schlurfte, die
Menschen doch eigentlich zu Tränen rühren müsste. Aber nicht in diesem Land.
Die Gesichter der Passanten wirkten unter den Pelzmützen so eisig wie der
Gehsteig, den sie sich entlangkämpfte.
In einem anderen Leben hätte Kate hundert überzeugende
Gründe gefunden, Kiew keinesfalls wieder zu besuchen. Nun hatte sie einen
einzigen Grund dafür.
Die Überraschungen beginnen in dem Moment, als sie das
Flugzeug verlässt. Der generalüberholte Flughafen heißt sie mit neonblauen und
gelben Zeichen auf Englisch willkommen. Die Schlange vor den Kabinen unter dem
Schild Passport Control besteht meist aus munter
plaudernden, buntgekleideten, langbeinigen Müttern mit Kindern im Schulalter.
Keine schweren Pelzmäntel, überall lächelnde Mienen.
Der Grenzposten allerdings lächelt nicht. Er runzelt die
Stirn, als er Kates Pass überprüft, schüttelt den Kopf und winkt sie mit einem
kategorischen »Tudy!« beiseite.
Tudy. To ... where? Als Kate kapiert,
dass tudy vielleicht »dorthin« heißt,
wiederholt der Grenzposten ungeduldig »Tudy, tudy« und weist
zur Kabine in der Ecke, wo zwei seiner Kollegen bereits mit ernsten Mienen auf
sie warten. Aha. Ihre Schachpartie ist also schon nach einem Zug vorbei. Sie
bewundert die Effizienz der britischen Polizei und das Tempo des
internationalen Nachrichtenwesens. Als der zerknitterte Polizist in Cambridge
sie bat, das Land nicht zu verlassen, war es ihm ernst damit - jedenfalls so
ernst, dass er sie beschatten ließ und an die Grenzbehörden in Kiew eine
Nachricht schickte. Wird man sie jetzt verhören oder sie einfach wieder
zurückschicken, mit freundlicher Genehmigung der englischen Krone?
Kate überantwortet den Grenzbeamten bei der Kabine ihren
Pass und ihr Schicksal.
»Britisch?«, fragt einer von ihnen und blättert die Seiten
ihres Passes durch.
Kate nickt. Ist das nicht offensichtlich? »You need a
visa«, sagt er auf Englisch.
Natürlich braucht sie das. Nicht gerade eine
Erleichterung. Selbst wenn die britische Polizei nicht so effizient ist, wie
Kate dachte, wird man sie jetzt in jedem Fall abschieben. Letztes Mal musste
sie eine Woche lang warten und dann zwei Stunden im Ukrainischen Konsulat
Schlange stehen, um ein Visum zu ergattern. Okay, heute hat sie das mit dem
Visum vergessen, dafür gibt es Gründe, aber wie konnte es der jungen
Angestellten am Abfertigungsschalter in Gatwick entgehen? Die hätte es wissen
müssen. Der Grenzbeamte bietet eine bequeme Lösung an. »Sie können das Visum
hier erwerben. Es kostet 80 US-Dollar.«
Diesmal ist der Tausch gut dokumentiert. Ihre Dollars werden prompt akzeptiert,
und sie erhält einen Stempel in ihren Pass, eine Quittung und sogar etwas
Wechselgeld zurück. Sie kann jetzt gehen. Nächster Schachzug: der Zoll.
Eine hübsche, stark geschminkte Zollbeamtin gibt ihr ihren
Pass zurück, ohne die 100-Dollar-Note zu entnehmen, die Kate beigefügt hat.
»Irgendetwas zu verzollen?«, fragt sie und klimpert mit den Barbie-Wimpern.
Kate gibt keine Antwort. Sie atmet tief ein und versucht, ihre aufsteigende
Panik in den Griff zu
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