Shevchenko, A.K.
Tätigkeiten eigneten und isoliert
in einer dunklen, einsamen Welt dahinvegetierten.
Er sieht das Gebäude nicht von der Straße aus. Die Mauer
ist hoch genug, dass man von ihr in den Tod springen könnte. Taras weiß, dass
auf diesem Gelände früher auch das Gefängnis lag. Es wurde zwar vor langer Zeit
verlegt, doch die Sicherheitsvorkehrungen sind immer noch streng - ein
Elektrozaun, zwei Tore und in der Wachstube zwei Stabsfeldwebel. Taras muss
seinen Pass und sein Ticket vorzeigen, die Uhr ablegen und seine Taschen
leeren. Mein Gott, denkt er, es genügt schon, hier einzutreten, um sich nervös
und verwirrt zu fühlen! Er geht in den Innenhof. Ein dicker Mann mit aufgedunsenem
Gesicht erwartet Taras am Eingang. »Ich bin Jurij«, stellt er sich vor und
haucht Taras an - sein Atem riecht nach Alkohol und kaltem Rauch, vermischt mit
Pfefferminz. »Der Chef hat gesagt, ich soll Sie begleiten. Ich bin Arzt hier,
mache nur Physiotherapie, sonst nichts.« Mehr verkneift er sich. Als sie auf
den Haupteingang zugehen, hallt das Knirschen des Kieses von den Wänden des
schachtartigen Hofs wider. Taras bemerkt, dass der Kies mit weißen Pillen
übersät ist.
»Was ist das?«, fragt er.
»Manche Patienten haben keine große Lust, ihre Medikamente
einzunehmen, verstehen Sie?«
Taras versteht nicht, und Jurij hat keine Lust, es ihm zu
erklären. »Ich gehe bald von hier weg«, sagt er stattdessen. »Die haben mich
vor fünf Jahren mit einem guten Gehalt hierher gelockt, aber jetzt ist mir
klar, warum man hier nur für viel Geld arbeitet. Ich war Sportmediziner, hab
mit Schwimmern gearbeitet - fitte, kräftige Typen ... Übrigens, was fehlt
Ihnen?«, fragt er Taras und zeigt auf sein verbundenes Handgelenk. Taras sieht,
dass Jurijs Hände zittern.
»Zu viel geboxt, zu wenig Training«, sagt er, weil ihm das
als Erstes in den Sinn kommt.
»Tatsächlich?« Jurijs Überraschung ist echt. »Das ist eine
absolut atypische Boxverletzung. Wie ist das passiert?« Dummer Fehler, denkt
Taras. Er hätte sich eine Geschichte zurechtlegen sollen. Sich einen
plausiblen Grund ausdenken sollen. Aber wie um alles in der Welt hätte er ahnen
können, dass ihn hier ausgerechnet ein Sportmediziner begleiten würde? Zum
Glück ist Jurij schon wieder bei seinen eigenen traumatischen Erlebnissen
gelandet: »Einen größeren Kontrast zu meinem früheren Job kann man sich
eigentlich gar nicht vorstellen. Man braucht seine ganze Kraft, um hier geistig
normal zu bleiben und so weiter. Meine Frau hat mich verlassen, ich trinke viel
mehr Wodka als früher ...« Als Jurij weiterspricht, klingt seine Stimme
fröhlicher, und alle Bitterkeit ist daraus verschwunden. »Nur noch
siebenundvierzig Tage! Ich ziehe auf die Krim, um dort als Landarzt zu arbeiten.
Der Duft der trockenen Kräuter in der Steppe, Pferde, Sterne und ein kleiner
Gemüsegarten - vielleicht gelingt es mir sogar, das hier zu vergessen. Werde
mir jedenfalls große Mühe geben.« Schweigend gehen sie nebeneinanderher, bis
Jurij, sichtlich erleichtert, Taras an Swetlana übergeben kann, eine
Krankenschwester zwischen dreißig und vierzig, die früher sicher mal hübsch
gewesen ist.
Swetlana nimmt ihn mit hinauf und erklärt ihm unterwegs im
routinierten Ton einer Fremdenführerin: »Das Krankenhaus wurde zur Zeit
Katharinas der Großen erbaut. Da es ein Gefängnis war, sind die Mauern einen
Meter dick. Wir haben hier vier Stockwerke; die Frauen sind in einem separaten
Block. In jedem Stockwerk sind ständig zwei Stabsfeldwebel und zwei
Krankenschwestern im Einsatz ...«
Das Erste, was ihm entgegenschlägt, ist ein
durchdringender Gestank - eine Mischung aus Urin und Erbrochenem. Dann der
Lärm. Ein ständiges Dröhnen aus unartikuliertem Gebrüll, manchmal durch
Kreischen unterbrochen. Und dann sieht er sie. Die Stationen haben keine Türen
- nur Gittertore.
Swetlana fühlt sich hier wie zu Hause: »Jede Station hat
zwischen fünf und zwanzig Patienten. Das Licht brennt ununterbrochen. Keine
Türen, wie Sie sehen. So hat man sie besser im Blick.«
»Wie verabreichen Sie die Medikamente?« Taras schafft es,
diese eine höfliche Frage hervorzustoßen und gleichzeitig durch den Mund zu
atmen.
»Oh, wir haben hier strenge Verfahrensregeln«, fährt
Swetlana fort. »Sie werden in einer halben Stunde Gelegenheit haben, es selbst
zu sehen. Wir alle hier, von der Krankenschwester bis zur Klinikleitung, sind
für jeden Regelverstoß persönlich verantwortlich. Der Medizinschrank
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