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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
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am nächsten Morgen in der frischen Oktoberluft zum
Appell antrat und der Sergeant den Namen »Petrenko!« brüllte, kam keine
Antwort. Man fand Taras halb ohnmächtig in einer Blutlache auf dem
Barackenboden zwischen den Kojen liegen. Mit einer Gehirnerschütterung und
zwei gebrochenen Rippen wurde er ins Krankenhaus gebracht. Natürlich
behaupteten alle, sie hätten in jener Nacht wunderbar geschlafen und von den
Ereignissen rein gar nichts mitbekommen ...
    Als Taras aus der Klinik zurückkehrte, ließ man ihn drei
Nächte lang unbehelligt. Es redete auch keiner mit ihm. In der vierten Nacht
wachte er auf, weil er etwas Nasses auf der Haut spürte. Einer der Bosse stand
über ihm und urinierte ihm ins Gesicht. Der ganze Raum sah schweigend zu. Den
Schmerz konnte Taras ertragen, die Scham nicht. Die Bosse wussten, dass dieser
Neuling kämpfen würde, und dieses Mal wollten sie die Freude, ihn zu foltern,
niemand anderem überlassen.
    Sie schleiften Taras zur Barackentür. Rustam zwang ihn,
seine rechte Hand in den Türspalt zu stecken. Dann schloss Achmed langsam die
Tür und brach Taras mehrere Finger; dabei beobachtete er unverwandt Taras'
Gesicht, um ihm jederzeit mit seiner mächtigen Pranke den Mund schließen zu
können, damit kein Schrei nach außen drang. Doch Taras schrie nicht. Der
Schmerz war so grauenhaft, dass ihm das Blut dröhnend und rauschend wie ein
Wasserfall in die Ohren schoss. In einem Tanz der Qual flackerten grüne Punkte
vor seinen Augen, es war, als würde ein Draht in seinem Hirn immer fester und
fester gespannt, bis Taras blind, blutleer, halb ohnmächtig war - aber er
schrie immer noch nicht.
    Am nächsten Morgen wurde er, mit drei gebrochenen,
bandagierten Fingern, zu Oberst Serow, dem Kommandanten des Regiments,
zitiert.
    Der Oberst trank Tee, der mit armenischem Kognak versetzt
war.
    »Gefreiter Petrenko«, begann er langsam, »laut Meldung des
Ausbildungszentrums sind Sie ein guter Soldat, ein exzellenter Panzermechaniker.
Es wäre schade, wenn wir Sie verlieren würden - entweder an eine andere Einheit
oder gar komissowanje, durch vorzeitige Entlassung aus
der Armee. Aber«, Serow beugte sich vor, um seinen Worten mehr Gewicht zu
verleihen, »anscheinend wollen Sie unbedingt Ärger. Die Offiziere können nicht
jedem Gefreiten hinterherlaufen und die Windeln wechseln. Wir sind hier bei
der Armee, nicht beim Partyfeiern. Sie könnten einen
Wechsel beantragen, und wir könnten Sie zu
einer anderen Einheit versetzen«, fuhr der Oberst fort und wog jedes Wort ab.
Taras wusste, was das bedeutete: Ermittlungen des Ausbildungszentrums,
Probleme für Serow und noch mehr Ärger für ihn selbst. »Ich habe nichts zu
sagen.« Taras starrte über den Kopf des Obersts hinweg auf die triste gelbe
Wand. »Ich bin gestolpert - das ist alles.«
    »Wie erklären Sie sich dann die drei gebrochenen Finger?«
Der Offizier war offensichtlich verärgert über Taras' Antwort. »Ich habe Ihnen
ja gesagt, Genosse Oberst, dass ich gestolpert und unglücklich gefallen bin«,
wiederholte Taras und starrte immer noch auf die schmuddelige Wand.
    »Na, dann passen Sie gefälligst auf, wohin Sie treten,
Gefreiter Petrenko«, seufzte der Oberst. »Denn wenn Sie jetzt noch einmal fallen
und sich etwas brechen, sind Sie selbst schuld. Ist das klar?«
    » Tak totschno, Towarischtsch
Polkownik! Klar, Genosse Oberst!«, erwiderte Taras und verließ das
Zimmer.
    Er wusste, was Serow dachte. Jeder hatte die Dedowschtschina durchgemacht und war als Rekrut im ersten Armeejahr
gemobbt und schikaniert worden. Um es bis ins zweite Jahr zu schaffen, musste
man halt die Zähne zusammenbeißen und die Schikanen der älteren Gefreiten und
Feldwebel ertragen. Wer gehorcht, der überlebt, wer rebelliert, ist draußen -
das galt für alle Armeen der Welt, nicht wahr ?
    Taras musste seine Lektion offenbar auf die harte Tour
lernen. Und Taras lernte. Aber es war eine andere Lektion: »Wenn du dich nicht
mit den Fäusten wehren kannst, wehr dich mit dem Kopf. Warte und plane. Denk
nach, und du wirst siegen.« Er polierte Achmeds Schuhe mit seiner Zahnbürste,
wischte mitten in der Nacht mit seinem Taschentuch den Toilettenboden sauber,
und die Bosse verloren bald das Interesse an ihm. Sie glaubten, sie hätten
seinen kurzen Widerstand gebrochen. Allein Taras wusste, dass er ihnen bald,
sehr bald, alles heimzahlen würde. Mehrere Wochen lang stand die Panzerdivision
unter konstantem Druck. Besucher aus dem Hauptquartier und Beobachter aus

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