Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein fatales Erbe
Vom Netzwerk:
anderen
Ländern des Warschauer Pakts wurden für Ende des Monats zu den Manövern der
Panzereinheit erwartet.
    Dem Kommandanten der fernöstlichen Panzerdivision bot sich
die Chance, mit seiner Kompanie anzugeben und befördert zu werden. Man
beschloss, den hohen Gästen die raschen Einsatzmöglichkeiten der
Panzerdivision im Manöver vorzuführen. Die neuen T 72 -Panzer
wurden mehrfach überprüft, Offiziere und Unteroffiziere gingen immer wieder
ihre Einsatzbefehle durch, und Serows Regiment hatte bereits alle Instruktionen
erhalten. Niemand, nicht einmal der Kommandeur, kannte den genauen Zeitpunkt
des Manöverstarts.
    Alles begann um drei Uhr morgens. Taras' Regiment musste
die linke Flanke der motorisierten Angriffseinheiten der Panzergrenadierdivision
decken und vorrücken, nachdem die Panzerabwehrraketen die leuchtend roten
»Feind«-Ziele beseitigt hatten. Das Manöver lief wie am Schnürchen, alles wie
geplant. Darum glaubte Oberst Serow, als er die Nachricht erhielt, zuerst an
einen geschmacklosen Soldatenscherz zu einem denkbar unpassende Zeitpunkt:
Einer der T 72 -Panzer sei in die Schusslinie der
Panzerabwehrbatterie gerollt. Seine gedämpft leuchtenden roten Rücklichter
seien mit beweglichen unbemannten »Feind«-Zielen verwechselt und der Panzer
zweimal getroffen worden: an der Basis des Geschützturms und an den Außentanks.
Die Besatzung habe keine Zeit mehr gehabt, die Luken zu öffnen, und sei in dem
schweren Panzer ums Leben gekommen. (»Wieso?«, brüllte Serow und stieß eine
Reihe von Flüchen aus. »Es gibt drei Luken; man braucht nur sechs Sekunden, um
die oberste zu öffnen!«) Und was noch schlimmer war: Der schwerbeschädigte
Panzer wurde von der besten Crew des ganzen Regiments gefahren. Kommandant,
Fahrer und Richtschütze waren die drei tschetschenischen Bosse.
    Die verantwortlichen Soldaten wurden zwar streng gerügt,
weil sie die Panzerabwehrraketen fahrlässig abgefeuert hatten, doch der Fall
kam nie bis vors Militärtribunal. Vielmehr gab man Rustam, dem
Panzerkommandanten, die Schuld, weil er den T72 mit eingeschalteten
Rücklichtern schon vor Beginn der Operation in den Zielbereich gefahren hatte.
    Die Ermittlungen lieferten zwar keinen Hinweis auf die
Gründe für Rustams Verhalten, aber eins stand fest: Nach dem Raketeneinschlag
und dem Ausbruch des Feuers musste den Kommandanten wohl eine schwere
Gehirnerschütterung daran gehindert haben, die Topluke zu öffnen; die
Fahrerluke war durch den Einschlag der Projektils und die Hitzeentwicklung
blockiert. Der Richtschütze war vermutlich in Panik geraten oder zu schwer
verletzt gewesen, um die untere Luke zu öffnen, weshalb die lebensrettenden
sechs Sekunden ungenutzt verstrichen. Die Warnung, er habe sich zu früh in Bewegung
gesetzt, konnte den betreffenden Panzer - so die Schlussfolgerung der
Ermittler - nicht mehr erreichen; es herrschte nämlich Funkverbot, um zu
verhindern, dass schon im Anfangsstadium des Manövers die Nachrichtenkommunikation
abgehört wurde. Es war ein bedauerlicher Unfall, doch da den Streitkräften
jährlich eine gewisse »Quote an Todesfällen und Verletzten während der
Truppenmanöver« zugestanden wurde, ging dieser Fall einfach in der Statistik
auf.
    Im Vorfeld des Zwischenfalls hatte allerdings ein Gespräch
stattgefunden, das nicht zu besagter Statistik passte. Zwei Tage vor Beginn
des Manövers hatte sich Taras in der kurzen Mittagspause an Rustam gewandt, der
neben ihm am Rand einer schlammigen Panzerkettenspur saß.
    »Hey, schon gehört, Rustam? Der Oberst hat gesagt, dass
der erste Panzer, der bei der Nachtoffensive startet, für seine rasche Reaktion
belobigt wird. Die Crew kriegt entweder zehn Tage Urlaub oder wird einen Monat
früher endgültig aus der Armee entlassen. War das nicht
toll? Ihr habt nur noch drei Monate. Übrigens ist der Beginn des Manövers um
zehn Minuten vorverlegt worden. Serow hat das gesagt, ich hab's zufällig
mitbekommen - das war doch eure Chance, oder?«
    Taras sagte das beiläufig, mehr als beiläufig, denn er
hatte über dieses Gespräch tagelang ununterbrochen nachgedacht. Er hatte über
den Stolz und die Ungeduld der Tschetschenen nachgedacht; über den Umstand,
dass Hochländer ihre Pferde lieben und diese Liebe auf ihr T72 -Stahlross
übertragen; und über den Wunsch der drei Bosse, als Helden in ihr Heimatdorf
zurückzukehren. Bei der Panzerwartung hatte Taras verschiedene Möglichkeiten
ausprobiert, wie er die Lukenbolzen so stark anziehen konnte, dass

Weitere Kostenlose Bücher