Sheylah und die Zwillingsschluessel
was sie mit dem restlichen Tag anfangen konnten. Die Verbündeten würden erst am Abend darauf eintreffen und bis dahin gab es nichts zu tun. Als ihnen nach einer halben Stunde immer noch nichts einfiel, entschlossen sie sich, bei ihren Hütten zu bleiben und zu faulenzen. Am Abend saßen sie um ein Lagerfeuer und erzählten sich Gruselgeschichten. Neela hatte nicht gelogen, als sie sagte, ihre Geschichten konnten einen die ganze Nacht wach halten. So erzählte sie von einer menschenfressenden Hexe, die in Basa lebte und Müttern ihre Neugeborenen stahl.
Djego schwor, dass es in Torbähis ein vierköpfiges Ungeheuer gab, das seine Opfer bei lebendigem Leibe häutete und Andrey erzählte von einem dämonenbesessenen Jungen, der von Land zu Land zog und sämtliche Dörfer niederbrannte. Warum er das jedoch tat, bekam Sheylah gar nicht mehr mit. Sie nickte irgendwann ein und erwachte erst wieder, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Geweckt wurde sie von der brütenden Hitze, die sie umgab. „Gott, ich fühl mich, als würde ich in einem Backofen liegen“, nuschelte sie, noch bevor sie die Augen aufgeschlagen hatte. Andrey lag dicht an sie geschmiegt und lachte, was ihre beiden Körper vibrieren ließ. Sheylah kroch aus dem Bett und steuerte den Wascheimer an, denn sie hatte das Gefühl, in der Hitze einzugehen. Andrey beobachtete sie amüsiert. Und nachdem sie sich frisch gemacht und umgezogen hatten, verließen sie die Hütte. Raqui lag noch an der gleichen Stelle, an der sie am Vorabend gelegen hatte, Isaak schwebte in weiter Ferne durch die Lüfte und Berger unterhielt sich mit Djego. „Wo ist Neela?“, fragte Sheylah sofort. „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen“, sagte Djego und tat, als wäre er beleidigt. „Ja ja, dir auch und Neela?“ „Ist mit Narcisia auf dem Dorfplatz. Sie treffen die letzten Vorbereitungen für die Stammesältesten“, antwortete er und warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Was ist?“, fragte sie. Djego hob die Augenbrauen. „Dasselbe wollte ich dich gerade fragen. Warum bist du heute so ungeduldig?“ „Weiß nicht. Ich glaube, ich werde langsam nervös. Ich meine, wir ziehen schon morgen in den Kampf. Stört es euch nicht, dass es womöglich unser letzter gemeinsamer Tag sein könnte?“ „Wir sind Krieger, das ist unser Beruf “, antwortet Djego schulterzuckend. „Wenn du ein paar Schlachten geschlagen hast, wirst du dich daran gewöhnen“, fügte Berger hinzu. Sheylah schaute ihn schief an. „Mich daran gewöhnen? Daran kann man sich nicht gewöhnen, das wäre ja krank.“ Berger deutete auf Andrey und Sheylah biss sich auf die Unterlippe und sah zu Andrey. Er hatte wahrscheinlich schon in hunderten von Schlachten gekämpft. „Wisst ihr, ihr habt beide recht. Für einen Krieger sind Kämpfe nichts Außergewöhnliches, wenn er überhaupt mehr als ein Dutzend überlebt. Aber man sollte sich niemals daran gewöhnen.“ Sheylah ließ die Männer zurück und ging zum Dorfplatz, um Neela und ihrer Schwester zu helfen. Arlindinho, Neelas Bruder, begegnete sie zum ersten Mal. Er war schlank, aber muskulös, sehr groß und hatte ein hübsches Gesicht. Sein Körper war von unzähligen Narben gekennzeichnet, aber dennoch ansehnlich. Es stellte sich heraus, dass er der beste Speerwerfer im ganzen Land war und für seine Erbarmungslosigkeit im Kampf berüchtigt. Dadurch genoss er hohes Ansehen unter den Basakriegern. In der Mitte des Dorfplatzes wurde ein großes Lagerfeuer aufgeschichtet, wobei die Männer das Holz herbeischleppten und die Frauen es ordentlich stapelten. Köstliche Gerüche stiegen Sheylah in die Nase, denn überall um sie herum wurde gekocht und gebacken. Narcisia war die Dekorateurin und stellte hier und da Schnitzereien und Fackeln auf. Es war zwar noch hell, aber am Abend, wenn die Stammesältesten eintrafen, sollte alles hergerichtet sein. Nachdem sie fast den ganzen Tag durchgearbeitet hatten, ließen sich Neela, Narcisia und Sheylah am späten Nachmittag unter einem Baum in der Nähe des Waldes nieder. Sheylah ließ sich ins Gras plumpsen und leerte ihre Wasserflasche in wenigen Zügen. Das Kleid klebte ihr am Körper und ihre Haare waren zerzaust. „Kommt Sozuke eigentlich auch mal aus ihrem Versteck?“, fragte Sheylah nach einer Weile. Seit sie Sozuke besucht hatten, war diese nicht einmal aus ihrem Zelt gekommen. Das konnte doch nicht gesund sein! Neela schaute verträumt in den Himmel. „Eigentlich kommt sie so gut wie nie heraus, es
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