Sheylah und die Zwillingsschluessel
sehr kränken und vor den anderen wie ein Kind behandeln? „Möchtest du noch etwas sagen?“, fragte Lisa und sah sie unschuldig an. Miststück , dachte Sheylah. Und ob sie noch etwas zu sagen hatte! Sie wandte sich an Andrey. „Ich bin es leid, dass du mich ständig und überall wie ein Kind behandelst. Ich bin sehr wohl in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“ Sie wartete auf eine Antwort, doch Andrey machte keine Anstalten, sich zu entschuldigen, stattdessen sagte er: „Im Vergleich zu mir bist du noch ein Kind.“ Lisa und Berger lachten, doch Sheylah konnte nicht glauben, was er soeben gesagt hatte. Die Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Warum tat er das? Ehe sie sich zurückhalten konnte, hatten die Worte auch schon ihren Mund verlassen: „Wenn ich in deinen Augen wirklich ein Kind bin, dann brauchst du auch nicht mit mir zusammen sein. Ich brauche keinen Babysitter.“ „Zusammensein?“, stieß Berger erschüttert hervor. Sheylah stürmte aus dem Zimmer und vor Wut stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie lief im Schloss umher, auf der Suche nach einem Ausgang. Sie brauchte frische Luft, denn sie hatte das Gefühl zu ersticken. Als sie einen Ausgang fand, begab sie sich nach draußen und ließ sich auf einer Treppe nieder. Es war dunkel geworden und regnete. Hatte nicht vor einer Stunde noch die Sonne geschienen? Es war ihr egal. Auch dass sich ihr Kleid mit Wasser vollsaugte. Blöde Kuh, hättest du nicht deinen Mund halten können? Kein Wunder, dass er dich wie ein Kind behandelt! Was, wenn ihnen Lisa nun nicht mehr half? Sie hätte ihren Mund halten und warten sollen, bis sie mit Andrey allein war. Doch sie war so enttäuscht von ihm gewesen, dass sie sich nicht hatte zurückhalten können – wieder einmal! Mit langsamen Bewegungen und durchnässter Kleidung erhob sie sich und ging über den Hof. Dann hörte sie schwere Flügel schlagen und für einen Moment hörte es zu regnen auf. Sie blinzelte zum Himmel auf und sah Isaak auf sich herabstürzen. Mit einem leichten Zittern landete er neben ihr und streckte einen Flügel über ihren Kopf, um sie vor dem Regen zu schützen. „Glaub mir, Andrey will dich nur beschützen, er liebt dich wirklich sehr“, erklang seine Stimme in ihrem Kopf. Als es stärker zu regnen begann, spannte er seine Flügel noch weiter. „Wie ein Vater sein Kind vielleicht“, gab Sheylah zurück und wunderte sich nicht, dass Isaak Bescheid wusste. Er musste ihre Gedanken gelesen haben, seit sie allein im Regen saß. „Andrey ist ein alter Mann, der schon viele Menschen verloren hat. Glaube mir, wärst du an seiner Stelle, würdest du genauso denken. Seine größte Angst ist es, dich zu verlieren.“ Sheylah atmete tief durch. „Du hast Recht. Ich habe wohl überreagiert. Aber sag ihm nicht, dass wir uns unterhalten haben, ja?“ „Was immer du wünschst.“ Damit stieß er sich vom Boden ab und war mit zwei Flügelschlägen in der Luft. Sheylah entdeckte Licht in einem der Gebäude und ein Dienstmädchen, das es gerade betrat. Sie wollte nicht wieder zu den anderen, also folgte sie dem Mädchen. Sie gelangte in eine große Küche, in der sich Berge von schmutzigem Geschirr stapelten. Ein Dienstmädchen machte sich daran, das Geschirr abzuwaschen, ein zweites trocknete es ab und holte immer wieder Nachschub. Wenn sie das alles wirklich abwaschen mussten, würden sie in zwei Tagen noch nicht fertig sein. Beide trugen grüne Kleider mit weißen Schürzen und ihre Haare waren zu strengen Knoten gebunden. Sie konnten nicht älter als achtzehn Jahre sein. Als das Geschirr waschende Mädchen Sheylah entdeckte, piepste sie auf. „Verzeiht, Ihr habt mich erschreckt. Was können wir für Euch tun, Herrin?“, fragte sie, ließ alles stehen und liegen und eilte zu Sheylah herüber. Das zweite Mädchen kam ebenfalls herbeigelaufen und zusammen fielen sie vor ihr auf die Knie. „Ich wollte mich nur umsehen und bitte … nennt mich nicht Herrin.“ Sheylah gebot ihnen, aufzustehen. „Wie möchtet Ihr dann angesprochen werden?“, fragte das zweite Mädchen. „Sheylah wäre für den Anfang nicht schlecht“, sagte sie lächelnd und schaute in die angespannten Gesichter. Keine Reaktion. Okay, den hatten sie offenbar nicht verstanden. Was sollte sie bloß machen, um ihnen ihre Anspannung zu nehmen? Die Mädchen schauten sie so erwartungsvoll an wie Hunde, die auf ihren Knochen warteten. Das ging doch nicht! Vielleicht sollte sie mal ein ernstes Wörtchen mit Lisa reden. „Wisst
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