Shibumi: Thriller (German Edition)
zurückkam. »Notieren Sie. Erstens: Hels Grundbesitz in Wyoming – eliminieren. Zweitens: sein Geld in der Schweiz – eliminieren. Drittens: Der Gnom – Suche intensivieren. Viertens: MI -5 und MI -6 alarmieren und instruieren. Also, Llewellyn, beginnen Sie mit dem Durchlauf für unsere unfähigen Freunde hier. Und Sie beide sollten beten, dass Nikolai Hel nicht schon untergetaucht ist.«
GOUFFRE PORTE-DE-LARRAU
Nikolai Hel befand sich in diesem Augenblick 393 Meter unter der Erde und drehte sich langsam am Ende eines einen halben Zentimeter starken Seils. Fünfundsiebzig Meter unter ihm, in der Samtschwärze der Höhle nicht zu erkennen, ragte die Spitze eines riesigen Geröllkegels empor, eine Ansammlung von Gesteinstrümmern, die im Lauf von Jahrtausenden aus dem natürlichen Schacht herabgefallen waren. Am Fuß dieses Geröllkegels wartete sein Partner darauf, dass er seinen elften Abstieg durch den gewundenen Schacht beendete, der sich über ihm emporschraubte wie ein überdimensionaler Korkenzieher.
Die beiden jungen Basken, die am Rand des gouffre fast vierhundert Meter über ihm die Winde bedienten, hatten doppelte Gleitklemmen gesetzt, die das Seil hielten, während sie eine leere Seiltrommel durch eine volle ersetzten. Dies war der entnervendste Augenblick des Abstiegs – und der unbequemste. Entnervend, weil Hel sich jetzt, nachdem er neunzig Minuten lang durch den engen, gewundenen Schacht geklettert war, vorsichtig durch Engpässe, an schmalen Felskanten, tückischen Diedern und engen Durchlässen vorbei hinabgetastet hatte, wobei er sich niemals der Schwerkraft anvertrauen durfte, da das Seil locker durchhing, um ihm genügend Bewegungsfreiheit zu geben – weil er sich also jetzt ganz auf das Seil verlassen musste. Während des gesamten Abstiegs hatte er ständig Schwierigkeiten mit dem Seil gehabt, das sich zu verfangen oder mit der Telefonleitung zu verheddern drohte, die an seiner Seite verlief. Doch gegen all diese Probleme im Schacht, von denen manche eine Herausforderung, manche auch nur ein Ärgernis waren, gab es den ständigen Trost der Felswände, die, im Schein seiner Helmlampe ganz nah, zumindest theoretisch Halt boten, falls etwas mit dem Seil oder der Winde schiefgehen sollte.
Jetzt aber hatte er den Schacht hinter sich, baumelte unmittelbar unter der Decke der ersten großen Höhle, deren Wände aus dem Lichtkreis seiner Helmlampe zurückgewichen waren, und hing in einer unendlichen Leere: das gemeinsame Gewicht seines Körpers, der vierhundert Meter Seil und des wasserdichten Behälters für Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände hing nun einzig und allein an zwei Gleitklemmen vierhundert Meter über ihm. Hel hatte vollstes Vertrauen in dieses System aus Klemmen und Winde, das er persönlich entwickelt und in seiner eigenen Werkstatt gebaut hatte. Es war relativ primitiv und wurde durch Pedale betrieben, die von den kräftigen Beinen der jungen Basken oben getreten wurden und eine so niedrige Übersetzung hatten, dass der Abstieg nur sehr langsam erfolgte. Die Sicherheitsklemmen bissen sich in das Seil und hielten es an, sobald es eine gewisse Ablaufgeschwindigkeit überschritt. Der Lagerpunkt bestand aus einem Dreibein aus Aluminiumrohren, das unmittelbar über dem engen Einstieg des gouffre aufgestellt war. Er verließ sich vollkommen auf dieses mechanische System, das verhindern sollte, dass er im Dunkeln auf die Spitze jenes Geröll- und Steinhaufens hinabstürzte, der etwa die Hälfte der ersten großen Höhle füllte, fluchte aber dennoch über die Burschen oben und flehte sie in Gedanken an, sich zu beeilen. Er musste durch den Mund atmen, denn er hing mitten in einem Wasserfall, der Ausmündung eines unterirdischen Flusses in den Schacht in 370 Meter Tiefe, der ihn zwang, die letzten fünfundneunzig Meter frei hängend durch einen eiskalten Sprühnebel zurückzulegen. Trotz der fest anliegenden Gummiabschlüsse der Ärmel sickerte das Wasser an seinen Armen empor und versetzte seinen verschwitzten Achselhöhlen einen gehörigen Schock. Seine Helmlampe war in diesem Katarakt nutzlos, deswegen schaltete er sie aus und blieb schlaff in dem hallenden Tosen und Brausen des Wassers hängen, obwohl ihm die Gurte, die ihn hielten, Rippen und Schritt aufscheuerten. Dass er nichts sehen konnte, hatte einen gewissen Vorteil. Denn bei diesem gewundenen, verzwickten Abstieg hatte sich das Seil immer weiter aufgedrillt, und als er sich mit dem ganzen Gewicht daran hängte und nach
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